ArbG Berlin: Arbeitgeber muss Betriebsrat nicht über Schwangerschaften unterrichten


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Das Arbeitsgericht Berlin hat beschlossen – 76 BV 13504/07 – dass ein Arbeitgeber den Betriebsrat nicht über die Schwangerschaft von Arbeitnehmerinnen unterrichten muss wenn die Arbeitnehmerin dies ausdrücklich ablehnt. Eine Ausnahme besteht dann, wenn ein konkreter Anlass besteht. Ein solcher Anlass kann die konkrete Befürchtung sein, dass die Mutterschutzvorschriften nicht eingehalten werden.

Aus dem Beschluss (bearbeitet und gekürzt):

Sachverhalt:

Zwischen den Beteiligten ist der Umfang von Informationsrechten des Betriebsrats in Bezug auf alle der Arbeitgeberin bekannt gewordenen Schwangerschaften von Arbeitnehmerinnen des Betriebes im Streit. Beteiligte zu 2 ist ein Unternehmen der Telekommunikation, das unter anderem einen Betrieb in Berlin mit etwa 200 Arbeitnehmern unterhält (im Folgenden Arbeitgeberin). Antragsteller ist der im Berliner Betrieb gebildete Betriebsrat (im Folgenden Betriebsrat). Die Arbeitgeberin hat den Betriebsrat seit dem Jahr 2005 in mindestens zwei Fällen nicht über ihr bekannt gewordene Schwangerschaften unterrichtet.Dieser hat die Arbeitgeberin vorgerichtlich aufgefordert, ihn über ggf. im Betrieb beschäftigte schwangere Arbeitnehmerinnen zu unterrichten. Die Arbeitgeberin teilte dem Betriebsrat daraufhin mit, dass sie ihn über alle schwangeren Mitarbeiterinnen informieren werde, sofern diese die Unterrichtung an den Betriebsrat nicht ausdrücklich untersagen.

Gründe:

Der zulässige Antrag des Betriebsrats ist nicht begründet. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch darauf, in jedem Fall einer der Arbeitgeberin bekannt gewordenen Schwangerschaft informiert zu werden. (…)

Grundsätzlich ist der sich aus § 80 Abs. 2 BetrVG ergebende Informationsanspruch des Betriebsrats weitgehend dahin zu verstehen, dass die Arbeitgeberin jederzeit und von sich aus dem Betriebsrat alle Informationen überlässt, die er zur Durchführung der ihm vom Gesetz zugewiesenen allgemeinen Aufgaben und der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsaufgaben benötigt oder die ihn in die Lage versetzen, das Bestehen solcher Aufgaben und Mitbestimmungsrechte erst festzustellen. Der Betriebsrat ist daher grundsätzlich auch jederzeit von der Arbeitgeberin darüber zu informieren, wenn diese ihrerseits von den betroffenen Arbeitnehmerinnen gem. § 5 Abs. 1 MuSchG eine Mitteilung über eine bestehende Schwangerschaft erhalten hat, weil sich daraus unmittelbar Verpflichtungen des Betriebsrats im Rahmen seiner wahrzunehmenden Aufgaben ergeben.

Nach Überzeugung der Kammer besteht die Informationspflicht der Arbeitgeberin jedoch nicht grenzenlos.

Die Regelung von § 5 Abs. 1 MuSchG ist für die betroffene Arbeitnehmerin nicht als sanktionsbewehrte Verpflichtung, sondern als Sollvorschrift ausgestaltet. Sie stellt eine Obliegenheit im bestverstandenen Eigeninteresse der werdenden Mutter und des ungeborenen Kindes dar. Damit stellt sie der Schwangeren jedoch frei, ob, wann und wem sie ihre Schwangerschaft mitteilen möchte. Nach Ansicht der Kammer räumt das Gesetz damit dem Persönlichkeitsrecht der Schwangeren einen höheren Stellenwert ein, als dem Informationsanspruch der Arbeitgeberin, obgleich in erster Linie diese die Aufgaben zur Realisierung des Schutzes der Schwangeren und des ungeborenen Kindes zu gewährleisten hat. (…)

Die Mitteilung einer bestehenden Schwangerschaft bei Mitarbeiterinnen der Beklagten durch die Arbeitgeberin an Dritte und damit auch an den Betriebsrat gegen den Willen der werdenden Mutter stellt eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung ihrer Persönlichkeitsrechte, insbesondere ihrer Intimsphäre dar. Ein solcher Eingriff muss sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Zwar dient die Überwachung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Unfallverhütungsvorschriften der Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und der Unterstützung der einzelnen Arbeitnehmer bei der Durchsetzung solcher Pflichten und ist daher wegen seiner Bedeutung nicht umsonst an die Spitze des Katalogs der allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats gestellt. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Arbeitgeberin Anlass zu der Vermutung gegeben haben könnte, sie würde diese Vorschriften im Zusammenhang mit dem Mutterschutz etwa missachten. Dies hat auch der Betriebsrat nicht behauptet. Dieser wäre zumindest nachträglich in der Lage gewesen, nach Kenntnis der irgendwann offensichtlichen Schwangerschaften festzustellen, ob die Beklagten in Bezug auf die mutterschutzrechtlichen Regelungen und Arbeitsschutzvorschriften Pflichten verletzt hat. Der Betriebsrat trägt auch nicht vor, dass die üblichen Arbeitsbedingungen im Betrieb im Fall einer mitgeteilten Schwangerschaft überhaupt weitergehende organisatorische Veränderungen an Arbeitsplätzen erfordern bzw. ob es Beschäftigungen oder Arbeitsbedingungen im Betrieb gibt, die ggf. Beschäftigungsverbote nach sich ziehen könnten. Nach Ansicht der Kammer ist der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Mitarbeiterinnen nicht verhältnismäßig, solange nicht konkrete Anlässe oder Befürchtungen dahingehend vorgetragen werden, dass die für sie maßgeblichen Schutzvorschriften von der Arbeitgeberin verletzt werden. Hinzu kommt, dass die Hoheit über die Preisgabe und die Verwendung personenbezogener Daten wohl unstreitig bei den werdenden Müttern liegt (informationelle Selbstbestimmung). Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich insoweit um ein Datenschutz-Grundrecht. § 5 Abs. 1 MuSchG trägt dem dadurch Rechnung, dass der werdenden Mutter die Entscheidung überlassen bleibt, ob sie ihren Arbeitgeber informiert. Es muss ihr damit auch die Entscheidung darüber offen stehen, ob und ggf. welchen Dritten diese Information zugänglich werden soll. Müsste sie nach Information der Arbeitgeberin immer damit rechnen, dass ihre Mitteilung auch ohne ihren Willen an jeden im Sinne von § 5 Abs. 1 S.4 MuSchG befugten Dritten weitergeben darf, könnte dies schlimmstenfalls dazu führen, dass sie auch die Arbeitgeberin nicht informiert, was letztlich dazu führen würde, dass die mutterschutzrechtlichen Vorschriften jedenfalls weitgehend leer laufen.

Dem allgemeinen Informationsanspruch gem. § 80 Abs. 2 BetrVG ist ohne besonderen Anlass für weitergehende Informationen ausreichend Rechnung getragen, wenn die Arbeitgeberin den Betriebsrat jederzeit und unverzüglich über die ihr bekannt gewordenen Fälle von Schwangerschaften im Betrieb informiert und diesem ggf. zusätzlich mitteilt, wenn die betroffenen Mitarbeiterinnen den ausdrücklichen Wunsch geäußert haben, den Betriebsrat nicht zu unterrichten. Damit steht dem Betriebsrat ggf. anlassbezogen die Möglichkeit offen, ergänzende Informationen zu erfragen und im Einzelfall auch den Namen zu erfahren, wenn die ernsthafte Befürchtung besteht, Schutzvorschriften könnten verletzt oder Schwangere aus anderen Gründen benachteiligt werden. Zudem ist der Betriebsrat in der Lage, spätestens nachdem die Schwangerschaften offensichtlich geworden sind, nachzuprüfen, ob Arbeitnehmerschutzvorschriften oder Informationspflichten (z.B. Mitteilung über den Wunsch einer Schwangeren, den Betriebsrat nicht zu informieren) die durch die Arbeitgeberin verletzt worden sind, sofern es daran Zweifel gegeben haben sollte. (…)

Quelle: Gerichtsentscheidungen Berlin-Brandenburg

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