BAG: Abweichung des Endzeugnisses vom Zwischenzeugnis – Zeugnisanspruch bei Betriebsübergang


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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 16.10.2007 – 9 AZR 248/07 – entschieden, dass wenn der Arbeitgeber zuvor ein Zwischenzeugnis erteilt, er regelmäßig an den Inhalt des Zwischenzeugnisses gebunden ist, wenn er ein Endzeugnis erteilt. Dies gilt auch, wenn der Betriebsveräußerer das Zwischenzeugnis vor einem Betriebsübergang erteilt hat und der Arbeitnehmer das Endzeugnis vom Betriebserwerber verlangt.Sachverhalt:

Die Parteien streiten über den Inhalt eines bereits erteilten Arbeitszeugnisses.

Der Kläger wurde seit Juli 2000 von der H GmbH beschäftigt. Sie erteilte ihm anlässlich eines am 1. März 2002 erfolgten Betriebsübergangs auf die Beklagte unter dem 28. Februar 2002 ein Zwischenzeugnis. Von März 2002 bis August 2002 war der Kläger in der Niederlassung W der Beklagten als Leiter des Bereichs Gesamtinkasso tätig. Für diese Zeit erteilte die Beklagte ihm unter dem 25. Juli 2003 ein Endzeugnis, das von dem Inhalt des früher erteilten Zwischenzeugnisses abwich. Das Endzeugnis lautet wörtlich zitiert wie folgt:

„Z e u g n i s

Herr H. S., geboren am 27.09.1966 in O, war vom 01.03.2002 bis 31.08.2002 in unserem Unternehmen als Leiter Gesamtinkasso für die Niederlassung W tätig.

Sein Aufgabengebiet umfasste mit seinem Mitarbeiterstab die vollständige Bearbeitung von Forderungsakten und die Motivation, Anleitung und Information der den Aufgaben bezogenen relevanten Mitarbeitern. Ebenfalls zählten die komplette Korrespondenz zwischen Schuldner, Schuldnervertretern, Gläubiger, Rechtsanwälten, Gerichtsvollziehern, Einwohnermelde- und Gewerbeämtern, verbunden mit entsprechender Fristen- und Terminkontrolle und Wahrung zu seinem Aufgabengebiet. Weiterhin gehörte die Vermittlung zwischen den Beteiligten bezüglich vorgeschlagener Raten- und Vergleichszahlungen und auch die Abwicklung von Forderungsakten im Insolvenzverfahren zu seinen Aufgaben.

Herr S. besitzt umfassende Kenntnisse in den Bereichen des außergerichtlichen, gerichtlichen Mahnwesen, dem Bereich der Zwangsvollstreckung und der Abwicklung von Insolvenzakten.

Herr S. konnte sich mit der Zeit neben seinen theoretischen Kenntnissen einen umfassenden Überblick über alle Abläufe in unserem Inkassounternehmen verschaffen. Weiterhin verfügt er über gute EDV-Kenntnisse im Umgang mit Windows-Betriebssystemen und kann sich daher in den verschiedensten Anwendungen und Techniken einarbeiten.

Herr S. war in der Lage auch komplexere Sachverhalte zielgerichtet in zweckgerechte Lösungen zu überführen.

Herr S. ist sehr pflichtbewusst und bereit, Verantwortung zu übernehmen. Mit seinen Leistungen waren wir immer zufrieden.

Neben seiner fachlichen Qualifikation war sein Verhalten zu Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern stets einwandfrei.

Herr S. wurde wegen seines freundlichen Wesens und seiner kollegialen Haltung sehr geschätzt. Er war stets darum bemüht, sein Wissen und Können vorbehaltslos auch anderen zu vermitteln.

Dank dieser Eigenschaft verstand Herr S. es auch, seine Mitarbeiter zu überzeugen und zu motivieren. Er realisierte die ihm übertragenen Aufgaben auch unter Termindruck mit großem Erfolg und erreichte so ein gutes Abteilungsergebnis.

Herr S. verlässt uns auf eigenen Wunsch, um eine neue Herausforderung anzunehmen. Wir wünschen ihm für seine berufliche wie persönliche Zukunft alles Gute und weiterhin viel Erfolg.

…“

Der Kläger beanstandete das Zeugnis mit Schreiben vom 22. August 2003 und bat um Überarbeitung bis 15. September 2003. Er rügte insbesondere, dass seine Arbeitsleistung in der Zeit vor dem 1. März 2002 nicht beurteilt worden sei. Außerdem bat er im Rahmen einer Mängelliste um Korrektur der Form, des Aufbaus und des Inhalts des Zeugnisses. Dieser ersten Beanstandung folgte weiterer Schriftwechsel. Mit Schreiben vom 26. September 2003 erinnerte der Kläger unter Fristsetzung bis 5. Oktober 2003 erfolglos an die Erledigung seines ersten Beanstandungsschreibens. (…)

Der Kläger hält die Tätigkeitsbeschreibung des erteilten Zeugnisses für nicht detailliert genug. Die Leistungs- und die Verhaltensbeurteilung hinterließen einen ungünstigen Eindruck. Ua. sei nicht nachzuvollziehen, weshalb das Endzeugnis von dem Zwischenzeugnis abweiche, das lediglich ein halbes Jahr vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses erteilt worden sei. Auf Verwirkung könne sich die Beklagte nicht berufen, weil sie unter dem 15. September 2005 und dem 5. Dezember 2005 geänderte Zeugnisse erteilt habe.

Das Arbeitsgericht hat Haupt- und Hilfsantrag abgewiesen. Mit seiner Berufung hat der Kläger nur noch den Hilfsantrag weiterverfolgt und vor dem Landesarbeitsgericht in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm unter dem Beendigungsdatum des 31. August 2002 ein Zeugnis folgenden Inhalts zu erteilen:

„Herr H. S., geboren am 27.9.1966 in O, war vom 1.7.2000 bis zum 31.8.2002 in unserem Unternehmen als Leiter Gesamtinkasso für die Niederlassung W tätig.

Sein Aufgabengebiet umfasste zunächst nur die IT-Entwicklung sowie die Betreuung der gesamten IT-Infrastruktur. Im Rahmen dieses Tätigkeitsgebietes arbeitete Herr S. mit großem Engagement an der Entwicklung neuer Lösungen zur Automatisierung und Optimierung IT-gestützter Geschäftsprozesse im Inkassobereich. Er analysierte in enger Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung interne Abläufe und erarbeitete neue Lösungsansätze, die er eigenverantwortlich auf Basis der bei uns eingesetzten Forderungsmanagement-Software implementierte. In kürzester Zeit eignete er sich eigenständig die notwendigen Software-Kenntnisse an und vertiefte diese im Rahmen diverser Programmierlehrgänge, die er erfolgreich absolvierte. Darüber hinaus verantwortete er den Betrieb der gesamten, in unserem Hause eingesetzten Hard- und Software, darunter das Netzwerkmanagement unter Einsatz von Windows NT 4.0.

Im November 2000 übertrugen wir Herrn S. die Leitung Gesamtinkasso. Das bis dato von ihm verantwortete IT-Management integrierten wir aufgrund der strategischen Relevanz für das Inkasso in seinen neuen Aufgabenbereich. Zeitgleich wurde ihm Handlungsvollmacht nach § 54 HGB erteilt.

Als Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung umfasste sein Verantwortungsgebiet seitdem die strategische Weiterentwicklung des Inkassobereichs in Nahtstelle zum Rechnungswesen sowie unseren Key Accounts und die Steuerung des Inkasso-Teams. Seit dem 18. Juni 2001 ist Herr S. eingesetzt als Inkasso-Ausübungsberechtigter gemäß § 3 der 1. AVO RBerG.

Besonders hervorzuheben ist sein Erfolg bei der konzeptionellen Entwicklung und Implementierung der komplexen Schnittstelle zwischen der Inkasso- und der Finanzbuchhaltungssoftware, die in unserem Fall mit einer umfangreichen Restrukturierung des Rechnungswesens verbunden war.

In Bezug auf seine Personalverantwortung pflegte Herr S. einen kooperativen, teamorientierten Führungsstil, der das notwendige Maß an Entscheidungs- und Durchsetzungsvermögen nicht vermissen lässt. Das von Herrn S. geführte Team umfasste im Kern 10 Mitarbeiter. Obwohl er direkt aus den Reihen seiner ehemaligen Kollegen heraus zu deren Vorgesetztem befördert wurde, meisterte er diese schwierige Führungsaufgabe mit psychologischem Geschick in vorbildlicher Weise.

Herr S. besitzt neben seinen ausgeprägten sozialen Kompetenzen fundierte juristische Kenntnisse und ein herausragendes Fachwissen im IT-Bereich.

Er war eine Vertrauensperson und überzeugte durch seine außerordentliche Einsatzbereitschaft sowie sein überlegtes Handeln. Herr S. verfügt über ein ausgezeichnetes konzeptionelles und strategisches Denkvermögen, verbunden mit einem sicheren Sinn für das Machbare. Er denkt zugleich innovativ und rational.

Herr S. hat seine profunden Kenntnisse im Inkasso- und IT-Bereich in Eigeninitiative stets weiterentwickelt und setzte auf dieser Basis immer wieder neue Impulse, die zu Verbesserungen führten. Seine Arbeitsweise war durch eine differenzierte Betrachtungsweise geprägt. Bei seinen Vorschlägen bedachte er vorab mögliche Konsequenzen, so dass sich seine Lösungen in der Praxis stets sehr gut bewährten. Kennzeichnend sind darüber hinaus seine Fähigkeit, Kollegen und Mitarbeiter zu motivieren, und seine Bereitschaft, sich jederzeit deutlich über das zu erwartende Maß hinaus loyal für das Unternehmen einzusetzen.

Herr S. hat alle ihm übertragenen Aufgaben stets zu unserer außerordentlichen Zufriedenheit ausgeführt und war durch seine kooperative Wesensart bei Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern gleichermaßen anerkannt und geschätzt.

Herr S. verlässt uns auf eigenen Wunsch, um eine neue Herausforderung anzunehmen. Wir wünschen ihm für seine berufliche und persönliche Zukunft alles Gute und weiterhin viel Erfolg.“

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung des verlangten Arbeitszeugnisses.

Der Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis war bis zum 31. Dezember 2002 für kaufmännische Angestellte in § 73 HGB, für gewerbliche Arbeitnehmer in § 113 GewO und für andere Arbeitnehmer in § 630 BGB geregelt. Seit dem 1. Januar 2003 ist § 109 GewO die maßgebliche Rechtsgrundlage für alle Arbeitnehmer. Auf den Streitfall ist noch der inzwischen aufgehobene § 73 HGB anzuwenden. Die Beklagte beschäftigte den Kläger als kaufmännischen Angestellten. Der Zeugnisanspruch entstand „bei der Beendigung des Dienstverhältnisses“ am 31. August 2002 und wurde zugleich fällig. Auf die nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung liegenden Zeitpunkte der bisherigen Erteilung des Zeugnisses unter dem 25. Juli 2003, 15. September 2005 und 5. Dezember 2005 kommt es deshalb nicht an.

Dem Kläger steht ein Zeugnis zu, das eine Dauer des Arbeitsverhältnisses vom 1. Juli 2000 bis 31. August 2002 bestätigt, inhaltlich dem Zwischenzeugnis vom 28. Februar 2002 entspricht und die Eingangs- und Schlussformulierungen des zuletzt unter dem 5. Dezember 2005 erteilten Endzeugnisses aufnimmt. Das hat das Landesarbeitsgericht zu Recht erkannt.

Sowohl nach altem als auch nach neuem Zeugnisrecht muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Zeugnis über Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses erteilen. Auf Verlangen des Arbeitnehmers war das Zeugnis nach dem aufgehobenen § 73 Abs. 1 Satz 2 HGB auf „die Führung und die Leistungen“ auszudehnen. Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO ist es auf „Leistung und Verhalten“ zu erstrecken. Der Arbeitgeber erfüllt den Anspruch mit einem Zeugnis, das nach Form und Inhalt den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Genügt das Zeugnis diesen Erfordernissen nicht, kann der Arbeitnehmer gerichtlich dessen Berichtigung oder Ergänzung verlangen. Mit einer solchen Klage macht der Arbeitnehmer keinen dem Gesetz fremden Berichtigungsanspruch geltend, sondern weiterhin die Erfüllung seines Zeugnisanspruchs.

Der gesetzlich geschuldete Inhalt des Zeugnisses bestimmt sich nach den mit ihm verfolgten Zwecken. Dem Arbeitnehmer dient es regelmäßig als Bewerbungsunterlage. Für Dritte, insbesondere künftige Arbeitgeber, ist es Grundlage der Personalauswahl. Dem Arbeitnehmer gibt es zugleich Aufschluss darüber, wie der Arbeitgeber seine Leistung und sein Sozialverhalten beurteilt. Inhaltlich muss das Zeugnis daher den Geboten der Zeugniswahrheit und Zeugnisklarheit gerecht werden.

In diesem Rahmen ist der Arbeitgeber frei in der Wahl seiner Formulierungen. Dennoch ist die Beklagte inhaltlich an das von der H GmbH unter dem 28. Februar 2002 erteilte Zwischenzeugnis gebunden. Gegen die Einzelheiten des Texts dieses Zwischenzeugnisses wendet sich die Beklagte nicht. Sie macht lediglich geltend, der Geschäftsführer der Betriebsveräußerin habe den Entwurf des Klägers ungeprüft unterzeichnet. Außerdem sei sie heute nicht mehr in der Lage, ein inhaltlich zutreffendes Zeugnis zu erteilen oder die Richtigkeit des ungewöhnlich detaillierten Zwischenzeugnisses zu beurteilen.

Es kommt nicht darauf an, ob das Zwischenzeugnis vom 28. Februar 2002 tatsächlich – wie die Beklagte behauptet – auf einem Entwurf des Klägers beruht. Mit seiner Unterschrift machte sich der gesetzliche Vertreter der früheren Arbeitgeberin den entworfenen Zeugnisinhalt für die Gesellschaft zu Eigen, ohne sich erkennbar von ihm zu distanzieren. Er machte auf diese Weise deutlich, dass der Inhalt des Entwurfs auch seiner Einschätzung der Leistung und des Verhaltens des Klägers entsprach.

Die Beklagte hat zudem nicht dargelegt, dass die Tätigkeitsbeschreibung, die Leistungs- und die Verhaltensbeurteilung des Zwischenzeugnisses nicht zutreffen. Sie stützt sich hinsichtlich der von den Bewertungen des Zwischenzeugnisses abweichenden Leistungs- und Verhaltensbeurteilungen auch nicht auf ihren Beurteilungsspielraum bei der Zeugniserteilung. Die Beklagte macht allein ihre mangelnde Kenntnis der Leistungen und des Verhaltens des Klägers während seines Arbeitsverhältnisses mit der H GmbH geltend. Diese behauptete Unkenntnis entbindet sie weder von ihrer Pflicht zur Erfüllung des Zeugnisanspruchs noch befreit sie die Beklagte von ihrer inhaltlichen Bindung an das von der Betriebsveräußerin erteilte Zwischenzeugnis. (…)

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