BAG: Verminderter Anspruch auf Überhangprovision durch eine vom Arbeitgeber vorformulierte Klausel benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen


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Das Bundesarbeitsgericht – 10 AZR 125/07 – hat entschieden, dass wenn ein Arbeitgeber in einem Arbeitsvertrag eine Klausel einsetzt, die die sogenannte Überhangsprovision vermindert dies nicht zulässig ist. Dem Arbeitnehmer steht demnach die Provision nach dem Ausscheiden zu.
Leitsätze

1. Es bleibt unentschieden, ob daran festzuhalten ist, dass der Anspruch eines Handlungsgehilfen nach den §§ 65, 87 Abs. 1 Satz 1 HGB auf bereits erarbeitete, aber erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällige Provision (Überhangprovision) von den Arbeitsvertragsparteien abbedungen werden kann, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt (vgl. BAG 20. August 1996 – 9 AZR 471/95 – BAGE 84, 17, 22).

2. Vermindert eine vom Arbeitgeber vorformulierte Klausel die Überhangprovision ohne Ausgleich pauschal auf die Hälfte der vereinbarten Provision, benachteiligt dies den Arbeitnehmer unangemessen. Die Klausel ist unwirksam.

Sachverhalt:

Die Parteien streiten über restliche Überhangprovision.

Die Beklagte stellt Fertighäuser her und vertreibt sie. Der Kläger war bei ihr ab dem 15. Juli 2003 aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom selben Tag als Gebietsleiter tätig. Die Bedingungen des Vertrags waren von der Beklagten für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert. Im Arbeitsvertrag heißt es: (…)

㤠5 Provision
Der Arbeitnehmer erhält für den Abschluss von Kaufverträgen und die Betreuung der Käufer eine Provision auf die das Nettogehalt angerechnet wird.
Die Provision wird errechnet aus 5 % des Nettoverkaufspreises für alle Haustypen. Bei der Berechnung der Provision wird der endgültige Nettoverkaufspreis des Hauses berücksichtigt, nicht aber die Planungsrate.
Von dem so ermittelten Betrag werden die dem Arbeitnehmer erstatteten Auslagen für Spesen, Fahrtkosten, Benzingeld und andere im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit angefallenen Kosten abgezogen. Der Restbetrag ergibt die Summe aus der dem Arbeitnehmer zustehenden Provision und dem darauf anfallenden Arbeitgeberanteil.
Sollte der Mitarbeiter aus dem Unternehmen ausscheiden, bevor die erste Kaufpreisrate eines Käufers fällig geworden ist, steht dem Mitarbeiter nur die Hälfte der hier geregelten Provision zu. Sollte der Mitarbeiter Vorgänge von anderen Vertriebsmitarbeitern zum Abschluss bringen, für die nach diesen Modalitäten nur 50 % der Provision angefallen ist, so steht ihm bei ordnungsgemäßer Abwicklung die andere Hälfte der Provision zu.
Die Provision wird hinsichtlich der einzelnen Verträge fällig, zu 25 % sobald die Erwerber die Rate für die Planungskosten beglichen haben, hinsichtlich der weiteren 75 % bei Bezahlung der ersten Vertragsrate durch die Erwerber. Werden die Planungskosten nicht gesondert in Rechnung gestellt ist die Provision insgesamt bei Bezahlung der ersten Vertragsrate durch die Erwerber fällig.“

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. (…)

Dem Kläger steht die beanspruchte restliche Überhangprovision, über deren Höhe kein Streit besteht, zu. Er hat der Beklagten während des Arbeitsverhältnisses im Juli 2004 und im September 2004 jeweils einen Kaufvertrag über ein Fertighaus vermittelt und hat deshalb nach den §§ 59 Satz 1, 65, 87 Abs. 1 Satz 1 HGB iVm. § 5 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags Anspruch auf Provision iHv. 5 % der Nettoverkaufspreise. Nach § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrags erhält der Arbeitnehmer die Provision allerdings für den Abschluss von Kaufverträgen und die Betreuung der Käufer. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass der Anspruch auf die Provision neben der Vermittlung des Kaufvertrags eine Betreuung der Käufer nach Vertragsschluss voraussetzt. Ist eine solche Betreuung nicht erforderlich, wie dies nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bei den zwei vom Kläger der Beklagten vermittelten Kaufverträgen der Fall war, hätte der Vertriebsmitarbeiter keinen Anspruch auf Provision. Von einem solchen Verständnis der arbeitsvertraglichen Provisionsregelung geht auch die Beklagte nicht aus. Sie begründet ihre Rechtsauffassung, wonach dem Kläger nur die Hälfte der Provision zusteht, ausschließlich mit der Fälligkeit der Kaufpreisraten erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. (…)

Die darlegungspflichtige Beklagte hat einen sachlichen Grund, der aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor der Fälligkeit der ersten Kaufpreisrate die Verminderung der Überhangprovision auf die Hälfte rechtfertigen könnte, nicht dargetan. Sie hat weder einen finanziellen Ausgleich noch Zahlungen an den Kläger aus der Vorarbeit eines Vorgängers behauptet. Nach den von der Beklagten nicht mit Gegenrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat sie die bei den ihr vom Kläger vermittelten Geschäften ersparte Provision mangels einer erforderlichen Betreuung der Käufer nach Vertragsschluss auch nicht einem anderen Vertriebsmitarbeiter gezahlt. Im Übrigen wären von einem anderen Vertriebsmitarbeiter im vorliegenden Fall tatsächlich ausgeführte Nacharbeiten ohne Bedeutung. Maßgebend ist, dass die in § 5 Abs. 2 Satz 5 des Arbeitsvertrags von der Beklagten für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung (§ 305 Abs. 1 BGB), wonach dem Vertriebsmitarbeiter bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Fälligkeit der ersten Kaufpreisrate nur die Hälfte der Provision zusteht, zu weit gefasst ist, den Vertriebsmitarbeiter entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt und daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist. (…)
Die Kürzungsabrede in § 5 Abs. 2 Satz 5 des Arbeitsvertrags hält dieser Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand. Die Klausel reduziert die dem Vertriebsmitarbeiter nach dem Arbeitsvertrag zustehende Provision auf die Hälfte, wenn er aus dem Unternehmen ausscheidet, bevor die erste Kaufpreisrate fällig geworden ist, ist mit wesentlichen Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB und der §§ 65, 87 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht vereinbar und benachteiligt den Vertriebsmitarbeiter deshalb entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.

aa) Ist vereinbart, dass der Handlungsgehilfe für Geschäfte, die von ihm abgeschlossen oder vermittelt werden, Provision erhält (§ 65 HGB), ist diese erfolgsorientierte Vergütung die Gegenleistung des Arbeitgebers iSv. § 611 Abs. 1 BGB für den Abschluss oder die Vermittlung des Geschäfts. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber dem Handlungsgehilfen neben der Provision eine Grundvergütung zahlt. In diesem Fall ist die Provision Teil des laufenden Arbeitsentgelts. Nach § 611 Abs. 1 BGB ist der Arbeitgeber als Dienstgeber zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Der Arbeitnehmer kann in dem als Dauerschuldverhältnis ausgestalteten Arbeitsverhältnis grundsätzlich auf die Beständigkeit der Zahlung des laufenden Arbeitsentgelts vertrauen. Er erbringt im Hinblick hierauf seine Arbeitsleistung und stellt auch sein Leben darauf ein (BAG 25. April 2007 – 5 AZR 627/06 – AP BGB § 308 Nr. 7 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 20) . Eine Verminderung des vom Arbeitgeber zugesagten Arbeitsentgelts aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses lässt § 611 Abs. 1 BGB grundsätzlich nicht zu.

bb) Es trifft zwar zu, dass ein Arbeitgeber, der Fertighäuser herstellt und vertreibt, ein erhebliches Interesse daran hat, dass der Käufer eines Fertighauses auch nach Abschluss des Kaufvertrags noch „betreut“ wird, um der Gefahr der Stornierung des Kaufvertrags zu begegnen. Dieses rechtlich anzuerkennende Interesse rechtfertigt allerdings noch nicht eine pauschale Verminderung der Überhangprovision um die Hälfte. Wenn in § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vereinbart ist, dass der Arbeitnehmer die Provision für den Abschluss von Kaufverträgen und die Betreuung der Käufer erhält, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass die Hälfte der Provision für den Abschluss des Kaufvertrags und die andere Hälfte für die Betreuung des Käufers gezahlt werden sollte. Einer solchen Annahme steht schon entgegen, dass eine Betreuung des Käufers durch den Vertriebsmitarbeiter nach Abschluss des Kaufvertrags nicht stets erforderlich war. Es kommt hinzu, dass der Kläger nach § 1 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vor allem die Kaufinteressenten für die Häuser der Beklagten hinsichtlich aller bis zum Vertragsschluss erforderlichen Aspekte zu beraten und zu betreuen hatte und während der Abwicklung des Vertrags den Kontakt nur aufrechterhalten musste, soweit dies erforderlich war. Schließlich war nach Abschluss des Kaufvertrags für die Detailplanung und die Einholung der behördlichen Erlaubnisse nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch nicht der Vertriebsmitarbeiter, sondern der Architekt der Beklagten zuständig. Ihr Interesse an einer Betreuung der Käufer nach Abschluss des Kaufvertrags konnte die Beklagte auch durch eine andere Ausgestaltung der Provisionsregelung in hinreichender Weise verwirklichen. Sie hat behauptet, ein selbständiger Handelsvertreter habe bei den ihr vom Kläger vermittelten Kaufverträgen die Nachbetreuung der Käufer übernommen. Dieser habe Anspruch auf Provision. Daraus und aus der in § 5 Abs. 2 Satz 6 des Arbeitsvertrags getroffenen Regelung wird deutlich, dass auch nach dem Verständnis der Beklagten eine Aufteilung der Provision praktikabel ist, mag eine solche Regelung für sie auch schwieriger zu handhaben sein als die pauschale Kürzungsregelung in § 5 Abs. 2 Satz 5 des Arbeitsvertrags.

cc) Die Kürzungsabrede in § 5 Abs. 2 Satz 5 des Arbeitsvertrags stellt nicht darauf ab, ob und in welchem Umfang eine Betreuung des Käufers durch den Vertriebsmitarbeiter nach Abschluss des Kaufvertrags tatsächlich erforderlich war. Sie knüpft die Verminderung der Provision ausschließlich daran, dass die erste Kaufpreisrate erst nach dem Ausscheiden des Vertriebsmitarbeiters fällig geworden ist. Damit erfasst sie auch die Fälle, in denen, wie bei den vom Kläger vermittelten Geschäften, eine Betreuung der Käufer nach Vertragsschluss nicht erforderlich ist. Die Hälfte seiner erfolgsabhängigen Vergütung als Gegenleistung für den Abschluss eines Geschäfts wird dem Vertriebsmitarbeiter damit nach der Kürzungsregelung ohne jeden Ausgleichsanspruch versagt, obwohl die Beklagte mangels einer erforderlichen Betreuung der Käufer nach Vertragsschluss keine Provision an einen anderen Vertriebsmitarbeiter oder selbständigen Handelsvertreter zu zahlen hat. Das ist bei wechselseitiger Berücksichtigung und Bewertung der rechtlich anzuerkennenden Interessen der Beklagten und der Vertriebsmitarbeiter nicht interessengerecht. Auch wenn die Erwägung des Landesarbeitsgerichts zuträfe, wonach es in der Branche der Beklagten immer wieder vorkommt, dass ein Fertighaus gekauft wird, ohne dass der Käufer über ein bebaubares Grundstück verfügt oder die Finanzierung des Kaufpreises gesichert ist, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass dies beim Verkauf von Fertighäusern typisch ist.

dd) Die Kürzungsklausel differenziert auch nicht danach, innerhalb welcher Frist nach dem Ausscheiden des Vertriebsmitarbeiters die erste Kaufpreisrate fällig wird. Ihre Anwendung bewirkte auch dann eine Verminderung der Provision um die Hälfte, wenn der Vertriebsmitarbeiter einen Käufer nach dem Abschluss des Kaufvertrags lange betreut hat, die erste Kaufpreisrate jedoch erst kurze Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird. Für ein vom Handlungsgehilfen vermitteltes, eingeleitetes oder vorbereitetes Geschäft, das erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen wird, ist für den Provisionsanspruch des Handlungsgehilfen nach § 87 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB maßgebend, ob das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen wurde. Daraus wird deutlich, dass es für den Anspruch auf Provision nach dem Willen des Gesetzgebers ohne Bedeutung sein soll, wenn die Voraussetzungen des Provisionsanspruchs innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erfüllt sind. Dieses Gerechtigkeitsgebot ist auch bei der Abwägung zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer durch die Verminderung der Überhangprovision aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unangemessen benachteiligt wird.

ee) Bei wechselseitiger Berücksichtigung und Bewertung der rechtlich anzuerkennenden Interessen der Beklagten und der Vertriebsmitarbeiter ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtung weiterhin zu beachten, dass durch die Kürzungsregelung einem Vertriebsmitarbeiter die Hälfte der erfolgsabhängigen Vergütung und damit ein ganz erheblicher Teil seines Arbeitsverdienstes vorenthalten wird, wenn er selbst das Arbeitsverhältnis kündigt und dieses endet, bevor eine Vielzahl von Kaufpreisraten fällig wird. Eine Regelung, die den Anspruch auf die volle Provision an ein bestehendes Arbeitsverhältnis bindet, darf aber einen Arbeitnehmer nicht aufgrund einer faktischen Kündigungserschwerung in unzulässiger Weise in seiner durch Art. 12 GG garantierten Berufsfreiheit behindern (vgl. BAG 24. Oktober 2007 – 10 AZR 825/06 – NZA 2008, 40) . Im Falle einer betriebsbedingten Kündigung durch die Beklagte würde ein Vertriebsmitarbeiter aufgrund der Kürzungsregelung nicht nur seinen Arbeitsplatz, sondern zudem die Hälfte der erfolgsabhängigen Vergütung verlieren, obwohl die Kündigung nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt. (…)

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