ArbG Naumburg: Außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung wegen Alkoholsucht


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Das Arbeitsgericht Naumburg – 1 Ca 956/07 – hat entschieden, dass eine außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers wegen lang anhaltender Alkoholsucht des Arbeitnehmers nach den Grundsätzen der krankheitsbedingten Kündigung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich ist. Dabei habe der Arbeitgeber auch die Regelung des § 84 Abs 2 SGB 9 (Betriebliches Eingliederungsmanagement) als Ausprägung des das Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten. Wenn der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchführt, erhöhe sich seine Darlegungs- und Beweislast für die fehlende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit.

Aus dem Urteil (bearbeitet und gekürzt):

Sachverhalt:

Die Parteien streiten nur noch über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses infolge einer der Klägerin ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung vom 04.04.2007 zum 15.04.2007 wegen lang anhaltender Krankheit (Alkoholsucht). Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch arbeitgeberseitige ordentliche Kündigung zum 30.09.2007 steht mittlerweile zwischen den Parteien außer Streit. (…)

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet, als festzustellen war, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die fristlose Kündigung des beklagten V es vom 04.04.2007 zum 15.04.2007 beendet worden ist, sondern aufgrund der mit Schreiben vom 18.04.2007 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des beklagten V es am 30.09.2007 sein Ende finden wird. Die Klägerin hat die Kündigungsschutzklage ordnungsgemäß innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist erhoben (§ 13 Abs. 1 S. 2, § 4 KSchG). Die als fristlose zum 15.04.2007 ausgesprochene Kündigung des beklagten V es ist unwirksam. (…)

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BAG kann aber eine krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung nur im Ausnahmefall in Betracht kommen. Krankheit ist danach zwar nicht als wichtiger Grund i. S. des § 626 BGB ungeeignet; an eine Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ist allerdings schon bei einer ordentlichen Kündigung ein strenger Maßstab anzulegen, so dass nur in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem kranken Arbeitnehmer für den Arbeitgeber i. S. d. § 626 BGB unzumutbar sein kann. (…)

Was die negative Prognose angeht, ist im Anschluss an den mehrfachen „Rückfall“ der Klägerin nach den Alkoholtherapien davon auszugehen, dass sich hieran auch in Zukunft nichts ändern wird, d. h. dass es erneut zu suchtbedingten Reaktionen und Ausfällen kommt. Ohnehin sind hier, da es sich um eine alkoholbedingte Suchterkrankung handelt, geringere Anforderungen an die negative Gesundheitsprognose zu stellen.

Des Weiteren muss aufgrund dieser negativen Prognose auch in Zukunft mit erheblicher Beeinträchtigung betrieblicher Interessen gerechnet werden. Das ergibt sich zum einen bereits aus den umfangreichen Ausfallzeiten der Klägerin seit 2003 sowie den damit verbundenen Folgekosten und zusätzlichen Belastungen der weiteren Pflegekräfte im Arbeitsbereich der Klägerin. Darüber hinaus ist eine weitere Form der Beeinträchtigung betrieblicher Interessen in der Weise festzustellen, dass aufgrund der geschuldeten Tätigkeit der Klägerin als Krankenschwester im intensivmedizinischen Bereich eine Selbstgefährdung der Klägerin als auch eine Gefährdung von Patienten durch die bestehende Alkoholsucht nicht ausgeschlossen werden kann, worauf der beklagte V unwidersprochen hingewiesen hat.

Jedoch fällt die Abwägung der wechselseitigen Interessen vorliegend zu Lasten des beklagten V es aus:

Der mehrfache Rückfall der Klägerin ist Folge ihrer bestehenden Alkoholerkrankung und daher kein steuerbares Verhalten, sondern durch die Sucht bedingt und ohne diese nicht vorstellbar. Dem Rückfall kommt daher – ungeachtet etwaiger bestehender arbeitsvertraglicher Nebenpflichten – kein Verhaltensunwert zu; er ist kündigungsrechtlich nach den personenbedingten Grundsätzen zu behandeln. Es ist gerade auch nicht generell schuldhaft, wenn ein Arbeitnehmer, selbst nach längerer Abstinenz, in Folge einer Therapiemaßnahme wieder rückfällig wird.

Es lässt sich nicht begründen, der Klägerin den Ausbruch dieser äußerst schweren Erkrankung vorzuwerfen, indem man lediglich auf sie einredet, sie müsse Alkohol trinken vermeiden. Es liegt gerade in der Symptomatik des Alkoholismus, dass der Kranke dies nicht vermag. Mit der gleichen Begründung könnte man nämlich dem übergewichtigen Herzkranken vorwerfen, dass er seine Erkrankung durch übermäßige Nahrungsaufnahme herbeigeführt oder zumindest äußerst begünstigt hat.

Grundsätzlich werden Alkoholiker nicht von einer Therapiemaßnahme als geheilt entlassen. Auch der „trockene“ Alkoholiker bleibt alkoholkrank; seine Krankheit ist nur (vorübergehend) gestoppt und es dauert auch nach durchgeführter und erfolgreicher Entziehungskur geraume Zeit, um das Rückfallrisiko gegen Null zu dämpfen. Insbesondere kann davon ausgegangen werden, dass eine Entziehungskur nicht bereits in einem frühen Stadium der Erkrankung durchgeführt wird, da die Abhängigkeit möglicherweise auch Dritten noch nicht eindeutig ersichtlich ist. Hat der einzelne aber eine längere „Alkoholkarriere“ hinter sich, ist mit eingetretenen körperlichen Schäden zu rechnen, die einen Rückfall mehr oder weniger bedingen.

Unter Berücksichtigung dieser Krankheitsumstände und der Beschäftigungszeit seit 01.12.1996 sowie des Lebensalters der Klägerin war der beklagte V verpflichtet, zumindest als Überbrückungsmaßnahme eine Umsetzung der Klägerin in einen anderen Arbeitsbereich des Eigenbetriebes eingehend zu prüfen. Ist ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, hat der Arbeitgeber nach § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX unter Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers und der Interessenvertretung zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (sog. betriebliches Eingliederungsmanagement). Diese gesetzliche Regelung, die auch für Beschäftigte gilt, welche nicht originär in den Schutzbereich des SGB IX fallen, ist Ausprägung des das Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dies hat erst Recht für die außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung zu gelten, um den hohen Anforderungen zu genügen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind. Gesundheitliche Störungen können im Arbeitsverhältnis bei jedem Arbeitnehmer auftreten, unabhängig von einer etwaigen Schwerbehinderung. Letztlich ist es das Ziel von § 84 Abs. 2 SGB IX, der Gesundheitsprävention einen höheren Stellenwert einzuräumen.

Die in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Maßnahmen geben dem Arbeitgeber also das Maß an Prüfung vor, das er zur Vermeidung einer krankheitsbedingten Kündigung zu leisten hat. Insbesondere legt § 84 Abs. 2 SGB IX dem Arbeitgeber die Pflicht auf, die Prüfung zur Vermeidung einer krankheitsbedingten Kündigung nicht nur intern, sondern unter Einbeziehung des betroffenen Arbeitnehmers, des Personalrats und gegebenenfalls des Betriebsarztes vorzunehmen. Dabei hat die Prüfung entsprechend der Vorgabe des § 84 Abs. 2 SGB IX zu erfolgen mit der Zielsetzung, den Arbeitsplatz möglichst zu erhalten und weitere krankheitsbedingte Fehlzeiten zu vermeiden.

Vorliegend hat der beklagte V ein solches betriebliches Eingliederungsmanagement im Zusammenwirken mit der Klägerin und dem Personalrat vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung nicht versucht. Jedoch hat er die Klägerin schon eine geraume Anzahl von Jahren seit Ausbruch der Krankheit zumindest zeitweise weiterzubeschäftigen vermocht. Insoweit konnte der Beklagte zur Überzeugung der Kammer nicht pauschal darlegen, dass die Durchführung eines solchen Verfahrens kein die außerordentliche Kündigung vermeidbar machendes Ergebnis erzielt hätte. Insgesamt hat der Beklagte folglich nicht substantiiert vorgetragen, dass selbst bei Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements eine zumindest zeitweise anderweitige freie Beschäftigungsmöglichkeit nicht bestehen würde. Das geht im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens zu Lasten der Beklagtenseite als darlegungs- und beweispflichtige Partei. Somit ist die außerordentliche Kündigung vom 04.04.2007 als unverhältnismäßig zu bewerten und mithin rechtsunwirksam mangels eines wichtigen Grundes i. S. d. § 626 BGB. (…)

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