LAG Schleswig-Holstein: Umgehung eines Sachbezugs durch Verkäuferin rechtfertigt außerordentliche Kündigung


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Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – 6 Sa 316/07 hat entschieden, dass eine Verkäuferin die gemäß Tarifvertrag eine Wertkarte erhält die mit Geld zum Sachbezug aufgeladen ist nicht einfach Waren kaufen und sofort wieder umtauschen darf um dadurch Geld zu erhalten. Dies stellt eine Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis dar.

Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung sowie um Weiterbeschäftigung. Die am …1980 geborene Klägerin ist ledig und kinderlos. Sie trat am 01.09.2000 als Kauffrau im Einzelhandel in die Dienste der Beklagten. Die Klägerin arbeitete zuletzt in der Damenoberbekleidungsabteilung der L… Filiale der Beklagten. Dort erzielte sie ein Brutto-Monatsgehalt in Höhe von 1.628,00 EUR. Jeder Mitarbeiter der Beklagten verfügt neben seinem Gehaltskonto über ein sogenanntes Mitarbeiter- oder Monatskonto (im Folgenden: MK-Konto). Über das MK-Konto werden Einkäufe der Mitarbeiter bei der Beklagten abgerechnet. Auf diesem Konto wird seit November 2005 aufgrund eines Sanierungstarifvertrages anstelle von Weihnachtsgeld jährlich ein sogenannter Sachbezug in Höhe von 1.000,– EUR für den Mitarbeiter gutgeschrieben. (…)
Jeder Mitarbeiter kann mit seiner MK-Karte eine so genannte Wunschkarte erwerben. Die Wunschkarten, die es erst seit 2003/Anfang 2004 gibt, sind einheitlich gestaltet. Auf ihrer Rückseite ist vermerkt, dass eine Barauszahlung nicht möglich ist (vgl. Blatt 33 d. A.). Es ist nicht erkennbar, ob die Wunschkarte von einem Mitarbeiter oder einer unternehmensfremden Person erworben wurde. Ferner ist nicht ersichtlich, ob die Wunschkarte mit Gehalt, Bargeld oder Sachbezug „aufgeladen“ wurde. Wunschkarten können durch Abbuchung des Betrages verwendet, aber auch verkauft, bei ebay versteigert oder verschenkt werden. Bei einem Umtausch bzw. einer Rückgabe von Ware, die über die Wunschkarte bezahlt worden ist, kann der bei dem Kauf abgebuchte Betrag nicht auf die Wunschkarte zurückgebucht werden. Stattdessen wird Bargeld ausgezahlt, unabhängig davon, ob es sich um Mitarbeitereinkäufe oder um Einkäufe unternehmensfremder Personen handelt. Der Klägerin wurde für das Jahr 2005 ein Sachbezug in Höhe von 950,74 EUR auf ihrem MK-Konto gutgeschrieben. Am 09.01.2006 kaufte sie um 14:15 Uhr über ihr MK-Konto eine Wunschkarte im Wert von 400,– EUR. Nur eine Minute später kaufte sie zwei Lederjacken der Größe 46 und 48 zu jeweils 200,– EUR. Diese Artikel bezahlte die Klägerin mit der zuvor erworbenen Wunschkarte. Den Personalrabatt in Höhe von 13 % nahm sie nicht in Anspruch. Unmittelbar danach tauschte die Klägerin die beiden Lederjacken an der Nachbarkasse um und erhielt den Kaufpreis in Höhe von 400,– EUR in bar ausgezahlt. Diese Vorgehensweise der Klägerin sowie ein entsprechendes Vorgehen weiterer fünf Mitarbeiterinnen der Abteilung Damenoberbekleidung wurde am 22.12.2006 im Rahmen der Filialrevision festgestellt und vom zuständigen Filialleiter am 02.01.2007 ausgewertet. Die Klägerin wurde am 05.01.2007 zu dem Vorgang im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden befragt. Auf die Frage, ob ihr bekannt sei, dass der Sachbezug nur abgekauft bzw. mit Käufen bei der Beklagten verrechnet werden dürfe, erklärte sie, dass sie davon zumindest ausgehe, weil er ansonsten ja wahrscheinlich wie Gehalt ausgezahlt werden würde. Am 12.01.2007 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Klägerin an (Anlagenkonvolut B 1 = Blatt 16 ff d. A.). Der Betriebsrat widersprach am 16.01.2007 sowohl der fristlosen als auch einer fristgemäßen Kündigung mit im Wesentlichen gleichlautenden Schreiben. Auf den Inhalt der Widerspruchsschreiben wird verwiesen (Anlagenkonvolut B 2 = Blatt 34 ff d. A.).
Die Beklagte sprach sodann mit Datum vom 17.01.2007 die streitgegenständliche außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung aus (Anlage K 1 = Blatt 4 d. A.). (…)

Entscheidungsgründe:
(…) 1. Die außerordentliche Kündigung vom 17.01.2007 ist wirksam. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB liegen vor.
a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (…).
b) In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom 17.01.2007 als wirksam.
aa) Das auf Barauszahlung des Sachbezugs gerichtete Verhalten der Klägerin stellt eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar und bildet an sich einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB.
Die Klägerin hat durch ihr Kaufverhalten am 09.01.2006 gezielt die tarifvertragliche Regelung zum Sachbezug sowie die Auszahlungsbestimmungen zum Sachbezug gemäß der Gesamtbetriebsvereinbarung über die Gewährung eines Sachbezugs in den Jahren 2005, 2006, 2007 umgangen, um anstelle einer Sachzuwendung Bargeld zu erhalten. Sie hat am fraglichen Tag innerhalb von zwei Minuten über ihr MK-Konto eine Wunschkarte im Wert von 400,– EUR erworben, mit dieser Wunschkarte zwei Lederjacken unterschiedlicher Größe zu jeweils 200,– EUR gekauft, die Jacken umgehend umgetauscht und sich hierfür Bargeld auszahlen lassen. Bereits der enge zeitliche Zusammenhang spricht dafür, dass die Klägerin einen Teil ihres Sachbezugs (hier: 400,– EUR) dazu nutzen wollte, um an Bargeld zu gelangen. Weder erst- noch zweitinstanzlich hat die Klägerin behauptet, sie habe die mittels der erworbenen Wunschkarte bezahlten Lederjacken behalten wollen. Der Gedanke hieran ist auch deshalb fernliegend, weil es sich um zwei Jacken unterschiedlicher Größe gehandelt und der Beklagtenvertreter im Berufungstermin unwidersprochen vorgetragen hat, dass keine dieser Größen der Konfektionsgröße der Klägerin entsprach. Hinzu kommt, dass der Wunschkartenwert dem Kaufpreis der beiden Jacken exakt entsprach. Bemerkenswert ist schließlich, dass die Klägerin für den fraglichen Einkauf keinen Personalrabatt in Anspruch genommen hat. Aus diesen Umständen folgt, dass die Klägerin objektiv das aus Ziffer 3 Abs. 2 der Gesamtbetriebsvereinbarung folgende Verbot der Barauszahlung des Sachbezugs umgangen hat. Sowohl der Sanierungstarifvertrag als auch die Gesamtbetriebsvereinbarung sehen ausdrücklich vor, dass der Sachbezug nur mit Käufen in der K… Warenhaus AG verrechnet werden kann und eine Barauszahlung in jedem Fall ausgeschlossen ist. Die Kammer ist weiter davon überzeugt, dass die Klägerin wusste, dass der Sachbezug nur mit Käufen im Unternehmen verrechnet werden durfte, und eine Barauszahlung nicht vorgesehen war. Zum einen hat sie dies auf entsprechende Frage im Rahmen der Anhörung am 05.01.2007 bestätigt. Sie hat erklärt, dass sie zumindest davon ausgehe, dass nur eine Verrechnung in Betracht komme, weil der Sachbezug ansonsten ja wahrscheinlich wie Gehalt ausgezahlt werden würde. Zum anderen spricht auch der von der Klägerin gewählte Weg dafür, dass der alleinige Verwendungszweck des Sachbezugs (Verrechnung mit Käufen bei der Beklagten) bekannt war. Denn anderenfalls hätte sie den umständlichen Weg über die Scheinkäufe nicht gehen müssen. (…)

bb) Die außerordentliche Kündigung vom 17.01.2007 ist nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte die Klägerin zuvor nicht abgemahnt hat.
Mit dem Erfordernis einer einschlägigen Abmahnung vor Kündigungsausspruch soll vor allem dem Einwand des Arbeitnehmers begegnet werden, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht erkennen bzw. nicht damit rechnen können, der Arbeitgeber werde sein vertragswidriges Verhalten als so schwerwiegend ansehen. Dementsprechend bedarf es einer Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG 07.07.2005 a. a. O.). Im vorliegenden Fall musste die Klägerin damit rechnen, dass die Beklagte nicht damit einverstanden ist, wenn ihre Arbeitnehmer die nach Tarifvertrag und Gesamtbetriebsvereinbarung ausgeschlossene Barauszahlung des Sachbezugs durch Erwerb einer Wunschkarte und anschließenden Kauf und Umtausch von Ware herbeiführen. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber – wie hier die Beklagte – ein solches Vorgehen nicht ausdrücklich untersagt hat. Die Beklagte musste nicht beschreiben, welche denkbaren Umgehungen des Barauszahlungsverbots ebenso untersagt sind, wie die direkte Barauszahlung. Es reicht aus, dass die Barauszahlung selbst ausgeschlossen war. Damit war es auch untersagt, die Beklagte über Zwischenschritte zur Auszahlung des Sachbezugs in bar zu veranlassen. Auf diese Weise war klargestellt, dass der Sachbezug eben nicht in Bargeld umgewandelt werden sollte. Vielmehr war – schon durch die Verwendung des Begriffs „Sachbezug“ – für jeden Mitarbeiter erkennbar, dass allein die Absicht bestand, den Arbeitnehmern eine Zuwendung in Höhe des Verkaufspreises der gekauften Waren zukommen zu lassen, den Umsatz aber im eigenen Unternehmen zu halten. Demnach war jede Umwandlung des Sachbezugs in Bargeld bei fehlender ausdrücklicher Gestattung des Arbeitgebers grundsätzlich verboten. (…)

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