Bedarfsgemeinschaft – Partnerschaft – Einstandsgemeinschaft – oder was?


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Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 13 AS 268/11 hat mit Urteil vom 29.05.2013 entschieden, dass als Voraussetzung einer Bedarfsgemeinschaft zuerst geprüft werden muss, ob überhaupt eine Partnerschaft besteht, bevor die anderen Kriterien – wie die Führung eines gemeinsamen Haushalts- geprüft werden dürfen. Dabei kommt es auf die Art und Weise an, wie die Menschen, die zusammen wohnen, ihre „Beziehung“ sehen und leben. Abwegig die Auffassung des Jobcenters, wenn es meint,    dass unter dem Rechtsbegriff „Partner“ zwei Personen bereits dann zu erfassen sind, wenn sie grundsätzlich heiraten könnten oder eine Lebenspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz eingehen könnten.Neu

Es kommt auf das Bekenntnis zueinander an, wobei es nicht entscheidend ist, was die Beteiligten Dritten oder gar Behörden gegenüber auf Nachfrage angeben, sondern wie die Menschen, um die es geht, ihr Verhältnis zueinander tatsächlich ausgestaltet haben.

Die gemeinsame Veranlagung der Kläger im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft erfolgte im konkreten Einzelfall zu Unrecht.

Für die Annahme einer zum Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft führenden Partnerschaft müssen nach dem Gesetzeswortlaut des § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II drei Voraussetzungen gegeben sein (Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 23. August 2012 – B 4 AS 34/12 R – Rdn. 14; Senat, Urteil vom 28. November 2012 – L 13 AS 299/10 –; so bereits Senat, Urteil vom 11. Juli 2012 – L 13 AS 138/09 –; Bayerisches Landessozialgericht – LSG –, Beschluss vom 9. Dezember 2009 – L 16 AS 779/09 B ER – juris Rdn. 14; Sächsisches LSG, Beschluss vom 10. September 2009 – L 7 AS 414/09 B ER – juris Rdn. 54 ff., m. w. Nachw.), nämlich eine Partnerschaft, ein gemeinsamer Haushalt und der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen („Verantwortungs- und Einstandswille“).

Objektive Tatbestandsvoraussetzung für das tatbestandliche Eingreifen der Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a SGB II ist zunächst das Bestehen einer „Partnerschaft“. Das Bestehen eines partnerschaftlichen Zusammenlebens in einer Beziehung zeichnet sich dadurch aus, dass es auf Ausschließlichkeit und auf eine gewisse Dauer angelegt ist, und daneben keine Lebensgemeinschaft gleicher Art und Intensität zulässt (vgl. BSG vom 23. August 2012 – B 4 AS 34/12 R – Rdn. 20, mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – Urteil vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/87 – BverfGE 87, 234 = SozR 3-4100 § 137 Nr. 3; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Januar 2008 – L 28 B 2130/07 AS ER – juris Rdn. 14), sowie dass die rechtlich zulässige Möglichkeit einer Heirat bzw. Begründung einer Lebenspartnerschaft besteht (BSG vom 23. August 2012, a. a. O., Rdn. 20, m. w. Nachw.). Hingegen trifft es nicht zu, dass unter dem Rechtsbegriff „Partner“ zwei Personen bereits dann zu erfassen sind, wenn sie grundsätzlich heiraten könnten oder eine Lebenspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz eingehen könnten, wie der Beklagte im Widerspruchsbescheid ausgeführt hat; denn hierbei handelt es sich lediglich um ein Element einer möglichen Partnerschaft, deren Kern indes durch das Zusammenleben im Sinne eines „Zusammenseins“ bzw. „Sich-zueinander-Bekennens“ von gewisser Dauer und Intensität, unter Einschluss der genannten Ausschließlichkeit, geprägt ist. Auf die positive Feststellung dieser für die Annahme einer Partnerschaft unverzichtbaren Elemente kann nicht unter bloßem Hinweis auf die rechtlich bestehende Möglichkeit einer Eheschließung verzichtet werden. Eine Partnerschaft zeichnet sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nämlich dadurch aus, dass sich ihre Mitglieder zueinander in dem Sinne bekennen, der jeweils andere sei „die Partnerin bzw. der Partner“ oder „die Freundin oder der Freund“, man sei „zusammen“ oder lebe in einer Beziehung oder dergleichen mehr. Wesensimmanent ist das all diesen Bezeichnungen zugrunde liegende Bekenntnis zueinander, wobei es freilich nicht entscheidend ist, was die Beteiligten Dritten oder gar Behörden gegenüber auf Nachfrage angeben, sondern wie ihr Verhältnis zueinander, im Sinne eines objektiven Tatbestandsmerkmals, tatsächlich ausgestaltet ist.

Das Risiko der Nichterweislichkeit des Vorliegens dieser tatsächlichen Voraussetzung des Bestehens einer Partnerschaft geht nach der allgemeinen Grundregel zu Lasten des Beklagten, da dieser aus dem Umstand des Vorliegens einer Partnerschaft für sich günstige Rechtsfolgen herleiten möchte.

Eine Partnerschaft zwischen den Klägern ist nicht erwiesen, und ihr Bestehen wird vom Senat nicht einmal für überwiegend wahrscheinlich, sondern für eher unwahrscheinlich erachtet. Diese Auffassung gründet der Senat aus einer Würdigung der Aussagen der Klägerin zu 1. und des Klägers zu 2. in ihrer persönlichen Anhörung im Verhandlungstermin vom 29. Mai 2013, wobei die Kläger den Senat im Gegenteil vom Nichtbestehen einer Partnerschaft nahezu überzeugt haben und lediglich geringe Restzweifel verbleiben. Beide Kläger haben ihr Lebensmodell in groben Zügen überzeugend dargestellt, was beinhaltet, dass sie entgegen der Annahme des Beklagten eben keine Partnerschaft führen, sondern im Wesentlichen aus Zweckmäßigkeitserwägungen zusammen wohnen und dieses Modell nunmehr seit Jahren fortführen. Hinzu tritt die schriftliche Zeugenaussage der Tochter der Klägerin zu 1., Frau R., vom 25. Juni 2012. Die übereinstimmende Schilderung der Kläger und der Zeugin hält der Senat für glaubhaft. Die Beteiligten und Frau R. haben im Wesentlichen übereinstimmende Angaben gemacht, die dem Senat auch plausibel erscheinen, wobei nicht entscheidend entgegensteht, dass die Klägerin zu 1. nunmehr – im Jahr 2012 – auch ihre pflegebedürftige Mutter in eine gemeinsam mit dem Kläger zu 2. neu bezogene Wohneinheit aufgenommen hat.

Zu diesen Erwägungen hinzu tritt die Überlegung, dass das Zusammenziehen eines Paares im Lebensalter der Kläger, insbesondere der Klägerin zu 1., mit der eigenen, volljährigen Tochter der Partnerin und einem Freund des Partners bereits wenig wahrscheinlich, eine darauf gegründete Annahme des Bestehens einer Partnerschaft somit wenig lebensnah ist. Bereits diese zunächst gegebene Konstellation der Wohngemeinschaft weckt somit weitere Zweifel an einer zu jenem Zeitpunkt bestehenden Partnerschaft. Die Angaben der Kläger zu den Plänen der Klägerin zu 1., seinerzeit mit ihrer Mutter zusammen ziehen zu wollen, sind ebenfalls plausibel. Hinzu kommen die auch von der Zeugin R. bestätigten Erfahrungen der Klägerin zu 1., aber auch der ungewöhnliche Altersunterschied. Partnerschaften einer 14 Jahre älteren Frau mit einem 14 Jahre jüngeren Mann kommen zwar in der Lebenswirklichkeit vor, aber sie sind selten. Dieser Umstand weckt ebenfalls Zweifel daran, dass die Kläger eine solche Beziehung geführt haben, wie sie unter dem Rechtsbegriff der Partnerschaft erfasst wird. Die Zeugin Frau R., die mehrere Jahre lang als Wohnungspartnerin die Umstände aus nächster Nähe beurteilen konnte, hat zudem glaubhaft mitgeteilt, nach ihrem Kenntnisstand lebten ihre Mutter und Herr Q. weder als Paar zusammen, noch hätten sie in der Vergangenheit als Paar zusammen gelebt, oder eine Beziehung geführt. Ihre Mutter habe ihr zudem in Gesprächen immer wieder versichert, dass sie an einer Beziehung mit Männern kein Interesse mehr habe, was sie selbst aus den Äußerungen ihrer Mutter in der Vergangenheit sehr gut nachvollziehen könne.

Aus dem Inbegriff dieser Beweisaufnahme vermag der Senat sich nach alledem nicht die erforderliche volle Überzeugung von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung zu bilden, bei den Klägern handle es sich um ein Paar, das in einer nach dem Gesetzeswortlaut des § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II geforderten Partnerschaft zusammenlebe. Vielmehr spricht nach der gegebenen Beweislage mehr dagegen als dafür, auch wenn sich aufgrund des jahrelangen gemeinsamen Wohnens eine gewisse Nähe zwischen den Klägern herausgebildet haben mag, und auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die gewählte Konstruktion des Abschlusses getrennter Mietverträge nebst den geschlossenen Zusatzvereinbarungen ungewöhnlich ist und dies unter weiterer Berücksichtigung der nicht faktisch durchgehaltenen tatsächlichen Trennung der Wohnverhältnisse durchaus für den Umstand sprechen mag, die Kläger hätten etwas zu verbergen. Der Senat hat bei einer Gesamtwürdigung des Streitstoffes gleichwohl sehr starke und unüberwindbare Zweifel am Vorliegen einer Partnerschaft, die sich in den genannten glaubhaften Aussagen, ergänzt durch die angeführten Fallumstände, gründen.

Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr darauf an, ob die Kläger „in einem gemeinsamen Haushalt“ (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 23. August 2012 – a. a. O., Rdn. 16 ff., 21 ff.) zusammengelebt haben, auch wenn dies in anderen Fällen grundsätzlich ein gewichtiges Indiz für das Bestehen einer Partnerschaft sein mag. Auch das Vorliegen eines „Verantwortungs- und Einstandswillens“ im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II und der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II ist ein Element, das lediglich in festgestellten Partnerschaften zu prüfen ist und im Hinblick auf die Zielrichtung der diesbezüglichen Überlegungen, zurückgehend auf die Rechtsprechung des BVerfG, auch nur in solchen sinnvoll geprüft werden kann.

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12 Gedanken zu “Bedarfsgemeinschaft – Partnerschaft – Einstandsgemeinschaft – oder was?”

  1. Dies ist ein interessanter Urteil. Meiner Bekannten wird auch ständig eine Partnerschaft mit mir unterstellt, obwohl wir nicht einmal im selben Ort wohnen. Das seltsame ist, dass das Jobcenter ungestraft behaupten kann: Herr Haid ist Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Ohne, dass dies jemals überprüft wurde. Ein Hausbesuch Anfang 2014 hat keine derartigen Erkenntnisse ergeben. Behauptet wird es trotzdem weiterhin. Un das SG Stuttgart spielt dabei auch mit.

  2. Gibt es nicht auch ein Grundsatzurteil wonach man zwar in einer Partnerschaft zusammen wohnt, der Partner aber dennoch nicht zur Bedarfsgemeinschaft zählt, da man erst seit wenigen Wochen zusammen wohnt!? Quasi auf „Probe“.

  3. Mir wird jetzt schon schlecht… lebe mit meinem behinderten Kind (20, besucht eine WfB, hohes Betreuungsaufkommen) zusammen, bin noch verheiratet aber getrennt lebend. Nun gibt es jemanden, der auch noch verheiratet ist, mich aber sehr mag (und umgekehrt) und kurzfristig eine neue Bleibe braucht, weil kein Ehepartner jubelt, wenn es eine Dreierkonstellation gibt. Unsere Wohnung ist eh zu groß und wir haben ein Zimmer übrig, da würde es sich anbieten, ein Zimmer unterzuvermieten und damit auch die KdU zu senken.
    Das Problem sehe ich darin, das man uns sofort eine „eheähnliche Gemeinschaft“ also quasi Polygamie unterstellen würde und jemand, den ich erst seit drei Monaten kenne, mit seinem Einkommen (EU-Rente) für mich aufkommen müsste, obwohl noch nicht mal klar ist, ob es tatsächlich langfristig Bestand hat. Ich denke, durch einen Mietanteil sinkt mein ALG 2-Satz ohnehin und es wäre auch kein Problem wenn es heißt: „Nach einem Jahr wird sein Einkommen ganz mit angerechnet…“ – dann wäre man sich halt schon viel sicherer, ob die Partnerschaft langfristig Bestand hat und viele andere Dinge wären bis dahin geregelt.
    Aber so rechne ich eher mit Sanktionen und einem eingeleiteten Strafverfahren, wenn ich „nur“ untervermiete und mein Freund nicht gleich sein Einkommen offen legen möchte. Ganz schön bedrückend.

    • Das ist aufgrund der geltenden Gesetzeslage (theoretisch, die Jobcenter sehen das teilweise anders) im ersten Jahr kein Problem. Man sollte aber drauf achten, dass man Konten Versicherungen etc. strickt trennt.

      • Ich bin ganz frisch vergeben und wir wohnen etwas weiter von einander weg,meine Frage er bekommt HartzlV ich Teilzeitkraft (30 Std. ) und wir möchten gerne zusammen ziehen es zumindest versuchen wird mein Gehalt mit angerechnet? Wir sind keine BG er kommt für sich auf und ich für mich also getrennte Konten , wird Ihm trotzdem was abgezogen? Oder was müssen wir beachten das wir nicht als BG berechnet werden?

        • Im ersten Jahr sollte es da keine Probleme geben, da wird gesetzlich noch keine Einstandsgemeinschaft vermutet. Danach wird das sehr kompliziert.

  4. hallo…ich habe ein eigenes haus, bewohne das, und hab auch einen mieter über mir..also eine eigene adresse…meine freundin bewohnt eine mietwohnung, die von der arge bezahlt wird, ich bin sehr oft bei ihr, übernachte auch bei ihr..kann ihr die miete gestrichen werden?
    mfg

  5. Sehr geehrter Herr Felsmann,
    ich bin gerade dabei ALG 2 zu beantragen. Meine Frage ist: Zählt das Einkommen meines Partners aus einem Promotionsstipendium als zu berücksichtigendes Einkommen (1500€ mntl. )?
    mfg

  6. Wohne mit Studentin nun schon über 5 Jahre zusammen.
    Sie hat ihre KK stehts selber bezahlt.
    Ich habe Job oberhalb Existensgrenze.
    Nun ist das Studium vorbei sie ohne Einkommen, muß Ich jetzt Ihre KK -Beiträge übernehmen,
    wenn das Amt ALG 2 verweigert?
    Was ist wen ich nicht zahlen will und sie nicht kann ??

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