BSG: Arbeitsunfall – Auch bei Reparatur am eigenen Auto auf dem Weg zur Arbeit


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Das Bundessozialgericht – B 2 U 24/06 R – hat entschieden dass Maßnahmen zur Behebung einer während eines versicherten Weges auftretenden Störung am benutzten Fahrzeug unter Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, wenn sie der Fortsetzung des Weges dienen sollen und dies durch objektive Umstände (Länge des Weges, Art, Umfang und Dauer der Maßnahmen) bestätigt wird.

Aus dem Urteil (bearbeitet und gekürzt):

Sachverhalt:
Der Kläger arbeitete in einem Betrieb, der etwa 1 km von seiner Wohnung entfernt liegt. Am Unfalltag hatte er gegen 7.30 Uhr seine Arbeit aufgenommen und ohne Mittagspause bis in den Nachmittag hinein gearbeitet. Er fuhr dann mit seinem PKW nach Hause und nahm ein verspätetes Mittagessen ein. Anschließend wollte er wieder zum Betrieb fahren, um einen Kunden zu beliefern. Als er zu Hause mit seinem Privat-PKW losfuhr, stellte er nach wenigen Metern ein Schleifgeräusch fest. Er hielt an, bockte, um nach der Ursache zu suchen, das sehr tief liegende Fahrzeug mit einem Wagenheber hoch und ging zur Inspektion mit dem Kopf unter das Auto. Durch Abrutschen des Wagenhebers senkte sich das Auto, der Kläger wurde eingeklemmt und erlitt eine Schädelbasisfraktur.

Die Beklagte lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, weil die Instandhaltung des eigenen Beförderungsmittels eigenwirtschaftlich und unversichert sei. Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat auf die Berufung des Klägers festgestellt, dass die erlittenen Kopfverletzungen Folgen eines Arbeitsunfalls sind. Bei Maßnahmen wegen einer unvorhergesehen während einer versicherten Fahrt auftretenden Störung bestehe der Versicherungsschutz fort.

Mit ihrer – vom LSG zugelassenen – Revision macht die Beklagte geltend, der Reparaturversuch sei eine eigenwirtschaftliche, unversicherte Tätigkeit gewesen. Im Übrigen hätte der Kläger den Weg in ca 10 Minuten zu Fuß zurücklegen können.

Entscheidungsgründe:

(…) Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente. (…)

Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist die Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung ausüben wollte, und zu deren Beurteilung ist neben den Angaben des Versicherten auf die objektiven Umstände abzustellen.

Der Kläger war auf einem nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII versicherten Weg, als er von seiner Wohnung in den Betrieb, in dem er beschäftigt war, fahren wollte, um von dort aus einen Kunden mit Material zu beliefern.
Dem steht nicht entgegen, dass er diesen Weg, nachdem er ihn morgens zum Arbeitsbeginn schon einmal zurückgelegt hatte, nun nach Einnahme seines verspäteten Mittagessens ein weiteres Mal zurücklegen wollte. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass der Weg von und zur Arbeit nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII nicht nur einmal am Tag unter Versicherungsschutz steht, sondern ggf mehrmals, wenn dieses wiederholte Zurücklegen des Weges durch die versicherte Tätigkeit bedingt und ihr damit zuzurechnen ist. (…) Das wiederholte Zurücklegen des Weges, weil zu Hause eine Mahlzeit eingenommen wurde, ist der typische Fall, in dem auch der zweite Weg versichert ist. Denn Wege zur Nahrungsaufnahme im Laufe eines Arbeitstages sind im Normalfall der versicherten Tätigkeit zuzurechnen und damit versicherte Wege, weil sie der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dienen und deswegen mit dieser Handlungstendenz von dem Beschäftigten unternommen werden. (…)

Die konkrete Verrichtung des Klägers zum Unfallzeitpunkt „Schadenssuche mit dem Kopf unter dem PKW“ ist diesem unter Versicherungsschutz stehenden Weg zuzurechnen.

Allgemeine Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit eines PKW, der wie hier kein Arbeitsgerät iS des § 8 Abs 2 Nr 5 SGB VII ist, sind als Vorbereitungshandlungen unversichert, also zB Tanken, Inspektionen, Reparaturen usw, auch wenn sie letztlich mit einer auf die grundsätzlich versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungstendenz unternommen werden.

Bei Maßnahmen zur Behebung einer während eines versicherten Weges auftretenden Störung hat der Senat hingegen ein Fortbestehen des Versicherungsschutzes bejaht, wenn kein Zurücklegen des restlichen Weges ohne Behebung der Störung in angemessener Zeit auf andere Weise (zB zu Fuß) möglich ist, die Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit nach Art und Zeitaufwand nicht in einem Missverhältnis zur Dauer des Weges im Ganzen steht und der Versicherte sich auf Maßnahmen beschränkt, die zur Fortsetzung des Weges notwendig sind, wobei Ricke und Leube im Hinblick auf die freie Wahl des Verkehrsmittels meinen, es könne nicht verlangt werden, dass der Versicherte auf das Kfz zum Zurücklegen des Weges angewiesen sei.

Die angeführten Kriterien, Unvorhergesehenheit sowie Relation des noch zurückzulegenden Weges zu den ergriffenen Maßnahmen, sind auch heute noch geeignet, der Entscheidung über die Handlungstendenz des Versicherten zugrunde gelegt zu werden, zumal die aus Erklärungen des Versicherten abgeleitete Handlungstendenz durch derartige objektive Umstände bestätigt bzw widerlegt werden kann. Auch aus der Länge des restlichen Weges und der Möglichkeit, ihn auf andere Weise zurückzulegen, sind Rückschlüsse auf die Handlungstendenz des Verletzten möglich. Es würde aber die Entscheidung des Senats vom 28. Februar 1962 überspannen, aus den in ihr angeführten Kriterien, wie der Länge des Weges, zwingende Folgerungen für die grundsätzlich zur Beurteilung des sachlichen Zusammenhangs maßgebliche Handlungstendenz des Versicherten ableiten zu wollen. Denn es entspricht ebenfalls der gefestigten Rechtsprechung des Senats, dass der Versicherte in der Wahl der Fortbewegungsart und des Fortbewegungsmittels frei ist. (…)

Vorinstanzen:
SG Detmold – S 14 U 113/03 –
LSG Nordrhein-Westfalen – L 15 U 248/05 –

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