Erwerbstätigenfreibetrag bei Zufluss von zwei Monatsentgelten aus demselben Arbeitsverhältnis


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Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 18.01.2012, – S 55 AS 30011/10 entschieden, dass bei einem Zufluss von zwei Monatsentgelten aus demselben Arbeitsverhältnis innerhalb eines Kalendermonats die Freibeträge nach §§ 11 Abs 2 S 2, 30 S 1 SGB 2 aF (nunmehr: § 11b Abs 2 und 3 SGB 2) jeweils für jedes Monatsentgelt einzuräumen sind. Dies gilt nicht, wenn der Lohn aus mehreren Arbeitsverhältnissen oder Tätigkeiten bezogen wird.

Das Sozialgericht Berlin begründet die Entscheidung im Wesentlichen wir folgt (bearbeitet und gekürzt):

Aus Wortlaut, Systematik, Regelungsgeschichte und Regelungszweck dieser Freibetragsvorschriften folgert die Kammer, dass auch bei einem Zufluss von zwei Monatslöhnen aus demselben Arbeitsverhältnis innerhalb eines Kalendermonats die Freibeträge nach §§ 11 Abs 2 Satz 2, 30 Satz 1 SGB II aF (nunmehr: § 11b Abs 2 und 3 SGB II) jeweils für jeden Monatslohn, sofern nicht Entgelte aus mehreren Arbeitsverhältnissen oder Tätigkeiten bezogen werden und die Freibeträge erschöpfen, einzuräumen sind. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von § 11 Abs 2 Satz 2 SGB II aF, weil dort normiert wird, dass der Freibetrag von 100 EUR „monatlich abzusetzen“ ist. Indes verweist bereits Satz 3 der Regelung auf den Charakter als monatliches Erwerbseinkommen. Diese Formulierung wird in § 30 Satz 1, insbesondere Nr 1, SGB II aF ausdrücklich aufgenommen. Monatliches Einkommen in diesem Sinne kann jedoch nur das jeweils monatlich erarbeitete und zu beanspruchende Arbeitsentgelt sein, unabhängig davon, wie es konkret ausgezahlt wird, wenn die Auszahlung monatlich zu erfolgen hat. Die Regelung des §§ 11 Abs 2 Satz 2 SGB II muss aus diesen Wortlautaspekten und der systematischen Einbettung daher so verstanden werden, dass der Freibetrag von 100 EUR auf jedes monatliche Einkommen anzuwenden ist.

 

Dies wird durch die Regelungsgeschichte und die gesetzgeberischen Motive bestätigt. Ziel der gesetzlichen Neuregelung der Pauschalabsetzung bei Erwerbstätigen nach § 11 Abs 2 Satz 2 SGB II aF war es, die Freibetragsregelungen des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 bis 5 SGB II zu vereinfachen und durch den – gegenüber dem bis 30. September 2005 geltenden Recht – in der Regel höheren Absetzbetrag verbesserte Anreize für eine Beschäftigung im Niedriglohnbereich zu schaffen. Sinn und Zweck der weiteren Erwerbstätigenfreibeträge (§§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6, 30 SGB II) ist es gleichfalls, einen Anreiz zur Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit zu schaffen. Zudem hat insbesondere der Freibetrag nach § 11 Abs 2 Satz 2 SGB II aF die Funktion, die monatlichen aus den laufenden Einnahmen zu deckenden Aufwendungen, die mit der Erwerbstätigkeit verbunden oder im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit als angemessene Vorsorge zu begreifen sind, aus der Einkommensanrechnung auszuklammern, weil insofern die Hilfebedürftigkeit nicht reduziert wird. Einkünfte, die für die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigkeit unmittelbar oder als angemessene Vorsorgeaufwendungen ausgegeben werden müssen/sollen, stehen für die Sicherung des Lebensunterhaltes nicht zur Verfügung.

 

Der Anreizfunktion beider Freibeträge liefe es indes zuwider, wenn ihre Berücksichtigung sowie deren Ausmaß davon abhinge, ob die für die einzelnen Monate erbrachte Arbeitsleistung vom Arbeitgeber monatlich laufend oder im Einzelfall sogar vertragswidrig unregelmäßig erst mit Verzug im Folgemonat vergütet wird. Der Zeitpunkt der Arbeitsentgeltzahlung durch den Arbeitgeber, der regelmäßig nicht in der Hand des Hilfebedürftigen liegt, kann nicht maßgeblich dafür sein, ob und wie diese Freibeträge berücksichtigt werden. Bei unregelmäßigen Zahlungen durch den Arbeitgeber, bliebe es dem Zufall (durch Vertragsbruch des Arbeitgebers) überlassen, ob die Freibeträge monatlich wirksam werden oder nur reduziert in Monaten doppelter oder gar mehrfacher Zuflüsse. Die Funktion des Freibetrages von 100 Euro, für den erwerbstätigen Hilfesuchenden die mit der Tätigkeit verbundenen, monatlich anfallenden Kosten bei der Einkommensanrechung außer Acht zu lassen, weil sie zur Deckung des Lebensunterhalts nicht zur Verfügung stehen, könnte nicht monatlich bzw eben nur teilweise erfüllt werden, denn in den Monaten, in denen kein Einkommenszufluss erfolgt, kann der Freibetrag auch nicht abgesetzt werden. Nichts anderes gilt, wenn durch Umstellung der Zahlungsweise – wie im vorliegenden Fall – korrekt zwei Monatslöhne zufließen. Die mit der Einkommenserzielung notwendig verbundenen und angemessenen, typischerweise monatlichen Ausgaben müssen, weil insofern kein Hilfebedarf reduziert wird, für das monatliche Einkommen und eben nicht „monatlich“ berücksichtigt werden. Dies gilt um so mehr für Leistungsberechtigte, deren monatliches Einkommen – wie bei der Klägerin – unter 400 Euro liegt und denen ein Nachweis höherer Ausgaben verwehrt ist, für die im Zuflussmonat ausgezahlten Monatsentgelte ein Ausgabennachweis für beide Monate also gesetzlich ausgeschlossen ist.

Die Berufung wurde zugelassen.

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