Kostenübernahme bei Umzug in zu teuere Wohnung


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Das Sozialgericht Lüneburg – S 78 AS 666/09 ER – hat entschieden, dass in besonderen Fällen ein Jobcenter verpflichtet sein kann den Umzug in eine nur wenig zu teure Wohnung zu genehmigen. Hierbei überwiegt der grundrechtliche Schutz das Interesse der ARGE Kosten zu sparen.

Aus dem Beschluss (bearbeitet und gekürzt):

Den Antragstellern geht es um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich der Zustimmung zur Anmietung einer neuen Wohnung nebst Übernahme laufender Miet- und Nebenkosten einschließlich Mietkaution sowie daneben noch hinsichtlich der Übernahme von Umzugskosten.

Der Antragsteller zu 1) wurde mit Ablauf des 15. Oktober 2008 arbeitslos (Vergleich des Arbeitsgerichts vom 16. September 2008 / Bl. 528 Alg-Akten) und erhielt zunächst Arbeitslosengeld gem. § 117 SGB III (Bescheid v. 22. Januar 2009). Seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau erhielt für sich und ihre beiden Kinder sowie den Antragsteller zu 1) SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. März 2009 bis 31. Juli 2009 in einer Gesamthöhe von 278,20 EUR (Bescheid v. 23. März 2009). Die Antragsteller bewohnen derzeit noch eine 2 1/2 -Zimmerwohnung, in der sich in den Ferien und am Wochenende auch der Antragsteller zu 5) – Kind aus erster Ehe der Antragstellerin zu 2) – aufhält. Dieser ist autistisch.

Die Antragsteller haben unter Berücksichtigung der Behinderung des Antragstellers zu 5) eine angemessene Wohnung für 5 Personen gesucht und gemeinsam mit einem Makler in K. in der „I. “ gefunden. Die Antragsgegnerin hat unter Berücksichtigung der gen. Erkrankung des Antragstellers zu 5) mit ihrem Bescheid vom 24. April 2009 einen Umzugsgrund anerkannt, jedoch ihre Zustimmung zum Umzug unter Hinweis darauf verweigert, dass der Miethöchstsatz in L. für 4 Personen nur 624,- EUR betrage, wenn die Wohnung vor dem 1.1.66 bezugsfertig geworden sei. Die in Aussicht genommene Wohnung sei daher unangemessen. (…)

Steht dem Antragsteller ein geltend gemachter Anspruch zu und ist ihm nicht zuzumuten, den Ausgang eines (verpflichtenden) Hauptsacheverfahrens noch abzuwarten, so hat der Antragsteller Anspruch auf die begehrte Leistung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes – bei Unüberschaubarkeit der Sach- und Rechtslage aufgrund einer Folgenabwägung.

Im Rahmen einer Folgenabwägung ist unter Berücksichtigung der Grundrechte (Art. 1 GG, Menschenwürde) und sämtlicher Belange des Rechtsschutzsuchenden zu entscheiden. Jedenfalls eine Versagung und Abweisung des gerichtlich erstrebten vorläufigen Rechtsschutzes hätte sich stets auf eine eingehende Aufklärung der Sach- und Rechtslage zu stützen, die in vielen Fällen jedoch nicht möglich ist. (…)

Angesichts dessen, dass die Antragsgegnerin schon für einen 4-Personen-Haushalt einen Umzugsgrund anerkannt hat (Bescheid v. 24. April 2009), ist ein solcher Grund hier erst recht für den 5-Personen-Haushalt, von dem unter Berücksichtigung der Behinderung des Antragstellers zu 5) auszugehen ist, ohne Weiteres anzunehmen. Somit ist der Auszug der Antragsteller aus der z.Z. von ihnen bewohnten Wohnung erforderlich. Maßgeblich ist nämlich allein, ob der Umzug durch einen vernünftigen Grund gerechtfertigt ist bzw. ob für den Umzug ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Anlass vorliegt, von dem sich auch ein Nichthilfeempfänger hätte leiten lassen. (…)

Die Antragsgegnerin ist auch verpflichtet, die begehrte Zusicherung gem. § 22 Abs. 2 SGB II abzugeben: Der Umzug der Antragsteller ist iSe Einzugs in die neue Wohnung „I. “ erforderlich, zumal Vieles dafür spricht, dass die Aufwendungen für diese neue Unterkunft bei wertender Betrachtung insgesamt angemessen sind.

Die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme der Kosten der Unterkunft stützt sich auf § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, wonach Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden, soweit diese angemessen sind. Als angemessene Kosten legt die Kammer im vorliegenden summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – insoweit nicht in Übereinstimmung mit der Antragsgegnerin, die hierzu eine Prüfung unternommen hat (Bl. 590 Alg-Akten) – einen Betrag nicht mehr nur von 624,- EUR zu Grunde, sondern – bei Annahme eines 5-Personen-Haushaltes – einen solchen von 737,- EUR. Hiervon geht unter Berücksichtigung eines 5-Personen-Haushaltes und der Baualtersstufe des Wohngebäudes die Antragsgegnerin allerdings nicht aus (Bl. 40 GA), sondern nimmt einen Höchstbetrag von nur 714,- EUR an. Legt man jedoch die seit 1.1.2009 anzusetzenden Höchstbeträge gem. Wohngeldgesetz (BR-Drucksache 284/08) zu Grunde, so ergibt sich für einen 5-Personen-Haushalt in L. ein Höchstbetrag von 737,- EUR. Hiervon ist für ein Hauptsacheverfahren und somit auch für das vorliegende Verfahren demgemäß auszugehen. Denn schon nach der alten Rechtslage kam es im Rahmen der sozialgerichtlichen Rechtsprechung nicht etwa auf Baualterstufen und das Baujahr des Wohngebäudes an. Das gilt nun erst recht für die seit dem 1. Januar 2009 geltende Rechtslage, die eine Differenzierung nach Baualtersstufen nicht kennt.

Im Hinblick auf den marginalen Unterschiedsbetrag von lediglich 13,- EUR (bei 737,- EUR anzusetzendem Höchstbetrag zu 750,- EUR Nettokaltmiete nebst Betriebskostenvorauszahlung) unter Einbeziehung und Berücksichtigung der erheblichen Schwierigkeiten, die die Antragsteller bei der Suche nach einer angemessenen Wohnung in L. begleitet haben, ist hier im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei Abwägung der Folgen, die entstünden, wenn die Antragsteller die in Aussicht genommene Wohnung nicht mehr anmieten könnten, mit den Folgen, die zu Lasten der Antragsgegnerin mit der Übernahme der tenorierten Kosten entstehen, die Verpflichtung der Antragsgegnerin auszusprechen, die Zusicherung gem. § 22 Abs. 2 SGB II abzugeben. Allem Anschein nach sind kostengünstigere Unterkünfte im Nahbereich von L. auch nicht anzumieten, wie das Ausbleiben bzw. Fehlen entsprechender Nachweise durch die Antragsgegnerin anzeigt. Dabei ist bei einer Wohnungssuche auf dem örtlichen Wohnungsmarkt auch zu berücksichtigen, dass eine Familie im SGB II-Bezug es schwer hat, eine geeignete und angemessene Wohnung zu finden. Bei einer 5-köpfigen Familie, die ein autistisches, stark behindertes Kind aufzunehmen hat und deren Tochter C. ab August 2009 das örtliche Fachgymnasium besuchen wird, liegen – bei der festzustellenden Erforderlichkeit eines Umzugs und einer nur geringfügigen Überschreitung der geltenden Richtwerte – die Anspruchsvoraussetzungen für eine kurzfristig abzugebende Zusicherung somit vor. Andernfalls hätten die Antragsteller weiterhin eine nur 2 1/2-Zimmerwohnung zu bewohnen, was ihnen mit Blick auf ihre grundrechtlichen Ansprüche nicht zuzumuten ist – auch nicht übergangsweise und nur zeitweilig.

Im Übrigen ist die Zusicherung (anders als die Zusicherung, die nach § 22 Abs. 2 a SGB II eingeholt werden muss) keine Anspruchsvoraussetzung für die Übernahme höherer Kosten der Unterkunft und Heizung. Sie hat lediglich den Zweck, über die Angemessenheit der Unterkunftskosten vor deren Entstehung eine Entscheidung herbeizuführen und so für den Hilfebedürftigen das Entstehen einer erneuten Notlage infolge der nur teilweisen Übernahme von Kosten zu vermeiden. Eine weitergehende Bedeutung kommt ihr damit nicht zu.

Von diesem Anspruch auf Zusicherung gem. § 22 Abs. 2 SGB II ausgehend sind hier gem. § 22 Abs. 3 SGB II auch Umzugskosten sowie eine Mietkaution – als Darlehen – von der Antragsgegnerin zu übernehmen. Hierbei ist davon auszugehen, dass der Umzug der Antragsteller notwendig ist und ohne die von der Antragsgegnerin zeitnah abzugebende Zusicherung eine ausreichende, den berechtigten Ansprüchen der Antragsteller genügende Unterkunft in angemessener Zeit nicht mehr gefunden werden kann (§ 22 Abs. 3 S. 2 SGB II). (…)

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