Schulbücher für Kinder von Hartz IV Empfängern vom Sozialamt


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Das Instanz Landessozialgericht Rheinland-Pfalz – L 3 AS 76/07 hat rechtskräftig entschieden, dass Hartz IV-Empfänger Anspruch auf Übernahme der Kosten für Schulbücher durch den Sozialhilfeträger haben. Die notwendigen Aufwendungen für Schulbücher sind durch den zuständigen Träger der Sozialhilfe als Hilfe in sonstigen Lebenslagen (§ 73 SGB XII) zu tragen.

Tipp:

Wenn Sie ein Kind haben, dass zur Schule geht und das Bücher kaufen muss sollten Sei die Übernahme der Kosten bei zuständigen Sozialamt beantragen. Es bleibt zwar abzuwarten ob sich die anderen Landessozialgerichte dieser Entscheidung anschließen. Aber im Rahmen der Regelsatzdiskussion stehen die Chancen nicht schlecht.

Aus dem Urteil (bearbeitet und gekürzt):

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme der Kosten für Schulbücher für das Schuljahr 2005/2006 streitig.

Der am 1990 geborene Kläger bezieht seit dem 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von der Beklagten. Er bewohnt gemeinsam mit seiner Mutter eine Wohnung in D. Die Mutter des Klägers besucht seit dem Wintersemester 2000/2001 die Universität M und bezieht Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Ergänzend erhält sie von der Beklagten Leistungen für Mehrbedarfe bei Alleinerziehung nach § 21 Abs. 3 SGB II.
Der Kläger besuchte im Schuljahr 2005/2006 die 9. Klasse des T Gymnasium in L. Den Schülern seiner Klassenstufe wurde eine Liste mit für die 9. Klasse erforderlichen Schulbüchern ausgehändigt. Entsprechend dieser Liste kaufte der Kläger das Geschichtsbuch „Geschichte und Geschehen C 3“ zum Preis von 23,20 EUR, das Mathematikbuch „Lambacher Schweizer 9“ zum Preis von 21,20 EUR, das Buch für Bildende Kunst „Sehen, Verstehen, Gestalten III“ für 22,50 EUR, das Kursbuch Religion für 18,95 EUR, für den Deutschunterricht ein Sprach und Lesebuch für 23,95 EUR sowie ein Arbeitsheft für 8,50 EUR sowie für den Lateinunterricht das PONS Wörterbuch für Schule für 24,50 EUR. Weiterhin erwarb er ergänzend zu dem Mathematikbuch „Lambacher Schweizer“ ein Arbeitsheft für 5,90 EUR. Am 31.08.2005 legte der Kläger die Rechnungen für die Schulbücher bei der Beklagten vor und beantragte unter Anrechung des erhaltenen Lernmittelgutscheins in Höhe von 59,00 EUR die Kostenübernahme für die Schulbücher in Höhe von 89,70 EUR.
Mit Bescheid vom 08.09.2005 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für Schulbücher ab. Mangels einer Anspruchsgrundlage könne die beantragte Leistung nicht als Zuschuss bewilligt werden. (…)

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und insofern begründet als der Beigeladene gemäß § 75 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl I S. 1706) zu verurteilen war, die aus dem Tenor ersichtlichen Kosten für die im Schuljahr 2005/2006 angeschafften Schulbücher zu tragen.

Die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 09.06.2006 ist zulässig. Da der Widerspruchsbescheid vom 09.06.2006 keinen Vermerk enthält, zu welchem Zeitpunkt er zur Post gegeben worden ist, kann die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht greifen.

Soweit der Kläger Leistungen von der Beklagten begehrt, ist seine Berufung unbegründet. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte besteht nicht. Eine Erhöhung des Regelsatzes des § 20 SGB II ist nach dem Konzept des SGB II nicht möglich. Auch die Vorschriften betreffend einen Mehrbedarf nach § 21 SGB II oder die abweichende Erbringung von Leistungen nach § 23 Abs. 3 SGB II (Leistungen für Erstausstattungen sowie für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen) sind nicht einschlägig.
Eine Leistungsgewährung im Rahmen des § 23 Abs. 1 SGB II in dem Sinne, dass für die Anschaffung der Schulbücher ein Darlehen gewährt und der Rückzahlungsanspruch nach § 44 SGB II erlassen wird, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Darlehensgewährung würde damit ad absurdum geführt und im Ergebnis doch zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Erhöhung der Regelsätze führen.
Ein Anspruch des Klägers ergibt sich jedoch aus § 73 SGB XII gegen den Beigeladenen als Sozialhilfeträger.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist eine Anwendung des § 73 SGB XII auch für Leistungsempfänger nach dem SGB II dann gerechtfertigt, wenn eine atypische Bedarfslage besteht. Allerdings darf die Norm nicht zur allgemeinen Auffangregelung für Leistungsempfänger des SGB II werden. Erforderlich ist daher das Vorliegen einer besonderen Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist und dadurch eine Aufgabe von besonderem Gewicht darstellt. Insofern ist eine derartige atypische Bedarfslage abzugrenzen von einem nur erhöhten Bedarf wie er im Rahmen des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII für Empfänger von Sozialhilfeleistungen berücksichtigt werden kann. Eine solche atypische Lebenssituation hat das Landessozialgericht Niedersachsen Bremen dann angenommen, wenn im besonderen Einzelfall aufgrund der anfallenden Kosten ansonsten der Besuch einer zur Hochschulreife führenden Schule nicht möglich wäre (dort: monatliche Kosten für eine Schülermonatskarte in Höhe von 89,25 EUR durch den Besuch einer 22 km vom Wohnort entfernten Schule). Die Aufwendungen, die typischerweise mit dem Schulbesuch verbunden sind, seien dagegen grundsätzlich von dem Regelbedarf nach § 20 SGB II erfasst.
Nach Auffassung des erkennenden Senats bedarf es hierbei einer differenzierten Betrachtung.
Die monatliche Regelleistung wird gesetzlich in § 20 Abs. 2 SGB II für eine volljährige Person auf der Grundlage der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt erhobenen Auswertung der Einkommens und Verbraucherstichprobe 1998, die entsprechend hochgerechnet wurde, festgelegt. Zwar umfasst die Einkommens und Verbrauchsstichprobe von 1998, die auf den Stand 01.07.2003 hochgerechnet wurde, in der Abteilung 09 (Freizeit, Unterhaltung und Kultur) auch Ausgaben für Bücher (vgl. Behrend, juris PK SGB II, 2. Auflage 2007, § 20 Rdnr. 40 ff). Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, auch Schulbücher seien aus der Regelleistung zu zahlen.
Die atypische Bedarfslage des Klägers besteht hier gerade darin, dass es sich bei dem Bedarf an Schulbüchern einerseits um einen Bedarf handelt, der Erwachsenen in der Regel nicht entsteht und daher auch in die Berechnung der Regelsätze bzw. der Regelleistungen nicht einfließen konnte, andererseits aber die Kosten für Lernmittel zwingend anfallen und in Rheinland-Pfalz nur eingeschränkt übernommen werden.
Nach § 70 Abs. 1 und 4 des rheinland-pfälzischen Schulgesetzes in Verbindung mit der Landesverordnung über die Lernmittelfreiheit (LernMFrhV) vom 14.03.1994 (GVBl. 1994, S. 225; hier noch in der bis zum 26.01.2007 geltenden Fassung) besteht nach Maßgabe unterschiedlicher Einkommensgrenzen Lernmittelfreiheit an den öffentlichen Schulen. Schülerinnen und Schülern, deren Personensorgeberechtigten bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreiten, haben Anspruch auf einen Lernmittelgutschein, der je nach Schulart, Klassenstufe sowie der Anzahl der Kinder in der Familie einen unterschiedlichen Wert hat. Im Schuljahr 2005/2006 belief sich der Grundbetrag eines Lernmittelgutscheins für die 9. Klasse des Gymnasiums auf 117,60 EUR (vgl. Anlage 1 der LernMFrhV a. F.). Der Kläger, der keine Geschwister hat, hatte gemäß § 3 Satz 2 Nr. 1 LernMFrhV a. F. nur Anspruch auf 50 v. H. dieses Grundbetrages, somit auf (gerundet) 59,00 EUR (vgl. aber auch die aktuelle LernMFrhV, die für die Klassenstufe 9 nunmehr einen Grundbetrag von 142 EUR vorsieht, wobei sich der Wert des Gutscheins bei lediglich einem Kind in der Familie auf 75 v. H., somit auf 106,50 EUR beläuft). Der Lernmittelgutschein deckte zum damaligen Zeitpunkt nur einen Bruchteil (hier: rund 29,8 v. H., also weniger als ein Drittel) der notwendigen Aufwendungen des Klägers für die Anschaffung von Schulbüchern ab. Der Kläger wäre somit im Umfang des Restbetrages (hier: 139,20 EUR bzw. umgerechnet auf den Monat 11,60 EUR monatlich) gezwungen gewesen, auf andere Ausgaben, insbesondere im Bereich der Teilnahme am kulturellen Leben (Besuch von Konzerten, Kino und Theater sowie Kauf von Zeitungen, Zeitschriften sowie Büchern zum privaten Gebrauch) zu verzichten. Ausgehend von einem Anteil für Freizeit und Kultur einschließlich Bücher an der Regelleistung des Klägers von ca. 11 %, d. h. 30,93 EUR monatlich bzw. 317,14 EUR jährlich, entfielen bereits mehr als ein Drittel (37,5 v. H.) seiner Ausgaben in diesem Bereich auf die Anschaffung notwendiger Schulbücher. Insofern wäre er gegenüber Schülern in anderen Bundesländern, die eine weitergehende oder gar komplette Lernmittelfreiheit für Bezieher von Grundsicherungsleistungen vorsehen, und gegenüber Leistungsbeziehern, die nicht mehr der Schulpflicht unterliegen, in seiner Lebensführung erheblich eingeschränkt. Auch wird die Verantwortung der Länder für die schulische Bildung hierdurch nicht berührt, da es sich lediglich um ergänzende Leistungen für Hilfebedürftige nach dem SGB II handelt.
Soweit der Beigeladene vorträgt, an einem atypischen Bedarf fehle es schon deswegen, weil eine Vielzahl von Familien mit schulpflichtigen Kindern betroffen seien, kann dem nicht gefolgt werden. Die Atypik ergibt sich nicht etwa aus der Anzahl der Betroffenen in dem Sinne, dass diese nur vorläge, wenn ein besonders kleiner Personenkreis betroffen ist. Eine atypische Bedarfslage kann vielmehr auch dann bestehen, wenn hiervon ein zahlenmäßig größerer Personenkreis in besonderer Art und Weise und anders als anderer Personengruppen betroffen ist.
Dass die besondere atypische Situation des Klägers eine Hilfe in besonderen Lebenslagen nach dem 9. Kapitel des SGB XII rechtfertigen kann, zeigt im Übrigen ein Blick auf die Altenhilfe nach § 71 SGB XII. Obwohl nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB II die Teilnahme am kulturellen Leben zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehören und damit vom Regelbedarf des § 28 SGB XII erfasst wird, können alte Menschen wegen deren besonderer Situation gleichwohl weitere Leistungen erhalten, um ihnen den Besuch von kulturellen oder der Bildung dienenden Veranstaltungen zu ermöglichen (vgl. § 71 Abs. 2 Nr. 5 SGB XII).
Die sonstige Bedarfslage rechtfertigt auch den Einsatz öffentlicher Mittel i. S. v. § 73 S. 1 SGB X II, da hierdurch dem Bezieher von Leistungen nach dem SGB II die gleichberechtigte Teilhabe an den Bildungschancen durch den Besuch einer weiterführenden Schule ermöglicht wird.
Bei Ansprüchen nach § 73 SGB XII handelt es sich um Ermessensleistungen. Soweit es sich jedoch wie vorliegend um die Versorgung eines Schülers mit den für den Unterricht notwendigen Schulbüchern handelt, ist das Ermessen auf Null reduziert. (…)

Vorinstanz: Sozialgericht Speyer S 10 AS 439/05

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2 Gedanken zu “Schulbücher für Kinder von Hartz IV Empfängern vom Sozialamt”

  1. Zum 1.7.09 soll ja im SGB II der § 24 a eingearbeitet werden, durch den Anspruch auf eine Schulbeihilfe für AlgII-Epmfänger besteht. Verbleibt denoch der Anspruch nach § 73 SGB XII?

    Zitat Vorabfassung § 24a SGB II: § 24a Zusätzliche Leistungen für die Schule. Schüler, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die eine allgemeinbildende oder eine andere Schule mit dem Ziel des Erwerbs eines allgemeinbildenden Schulabschlusses besuchen, erhalten bis zum Abschluss der Jahrgangsstufe 10 eine zusätzliche Leistung für die Schule in Höhe von 100 Euro, wenn mindestens ein im Haushalt lebender Elternteil am 1. August des jeweiligen Jahres Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch hat. Schüler, die nicht im Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils leben, erhalten unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 2a die Leistung nach Satz 1, wenn sie am 1. August des jeweiligen Jahres Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch erhalten. Der zuständige Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende kann im begründeten Einzelfall einen Nachweis über eine zweckentsprechende Verwendung der Leistung verlangen.

  2. Das ist eine interessante Frage.
    Im oben geschilderten Fall gab es eine Schulbücherbeihilfe vom Land, die war aber schon ausgeschöpft. Der darüber hinaus gehende Betrag ist dann nach § 73 SGB XII genehmigt worden.

    Daher würde ich sagen, dass der ALG II Empfänger zuerst die 100,00 Euro verbrauchen muss (ggf. mit Nachweisen) und dann der Anspruch weiter besteht.

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