ArbG Dortmund: Sittenwidriger Lohn im Discounthandel


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Das Arbeitsgericht Dortmund – 4 Ca 274/08 – hat einer Mitarbeiterin eines Textildiscounters einen um 3 Euro höheren Lohn als vertraglich vereinbart zugesprochen. Die Arbeitnehmerin hatte geklagt, da ihr Lohn iHv. 5, 20 Euro deutlich vom geltenden Tariflohn abwich. Bei einer Abweichung von mehr als einem Drittel besteht ein Anspruch auf Zahlung des in dem Gebiet üblichen Lohnes.

Aus dem Urteil (bearbeitet und gekürzt):

Sachverhalt:

Die Parteien streiten um Entgeltansprüche der Klägerin. Die 57 Jahre alte, verheiratete, Klägerin ist gemäß schriftlichem Arbeitsvertrag vom 22.08.2001 bei der Beklagten seit dem 01.07.2001 zu einem Stundenlohn von zuletzt 5,20 EUR beschäftigt. In den Jahren 2004 bis 2007 erhielt die Klägerin einen Stundenlohn von 5,00 EUR. (…)

Mit der vorliegenden, am 30.11.2007 bei Gericht eingegangenen Klage, begehrt die Klägerin die Zahlung der geleisteten Arbeitsstunden im Jahre 2004 auf der Basis eines Stundenlohns von 7,96 EUR brutto, im Jahre 2005 auf der Basis eines Stundenlohns von 8,10 EUR brutto und 8,12 EUR brutto, im Jahre 2006 auf der Basis von zunächst 8,12 EUR brutto, ab September 2006 sowie für das Jahr 2007 auf der Basis eines Stundenlohns von 8,21 EUR brutto, was insgesamt für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.09.2007 einen Betrag von 18.503,89 EUR brutto abzüglich gezahlter 11.369,60 EUR netto ergibt. (…)

Entscheidungsgründe:

(…) Die Beklagte hat die von der Klägerin geleistete Arbeitszeit in Höhe von 7,96 EUR brutto, bzw. 8,10 EUR brutto sowie 8,12 EUR brutto und ab 01.09.2006 mit 8,21 EUR brutto pro Stunde zu vergüten. Dieser Anspruch folgt aus §§ 612 Abs. 2, 138 BGB, denn die Vergütungsvereinbarung der Parteien im Vertrag von 22.08.2001 verstößt gegen die guten Sitten und ist deshalb nichtig.

Eine arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung kann wegen Lohnwucher oder wegen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nichtig sein. Sowohl der strafrechtliche Wuchertatbestand des § 291 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB als auch der zivilrechtliche Lohnwucher nach § 138 Abs. 2 BGB und das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB setzen dabei ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist zur Feststellung, ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, der Wert der Leistung des Arbeitnehmers nach ihrem objektiven Wert zu beurteilen. Ausgangspunkt zur Feststellung des Wertes der Arbeitsleistung sind dabei in der Regel die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweiges. Das gilt jedenfalls dann, wenn in dem Wirtschaftsgebiet üblicherweise der Tariflohn gezahlt wird. Denn dann kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt nur zu den Tariflohnsätzen gewonnen werden können. Entspricht der Tariflohn indessen nicht der verkehrsüblichen Vergütung, sondern liegt diese unterhalb des Tariflohns, ist zur Ermittlung des Wertes der Arbeitsleistung von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen. (…)

Vorliegend ist von einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung auszugehen. (…)

Vergleicht man die Stundenlöhne von 9,39 EUR brutto, 9,72 EUR brutto und 9,82 EUR brutto gemäß der Lohngruppe II, Lohnstaffel a), des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel NRW mit der vertraglich vereinbarten Vergütung von 5,- EUR pro Stunde, so ist bei der Vergleichsrechnung jeweils von Bruttobeträgen auszugehen, denn der Arbeitsvertrag der Parteien enthält insoweit keine Nettolohnvereinbarung, was sich schon aus der Regelung in § 4 des Arbeitsvertrages vom 22.08.2001 ergibt. Dass die Beklagte im Falle des Überschreitens der Einkommensgrenzen von zuletzt 400,- EUR monatlich auch eine Vergütung von 5,- EUR netto gezahlt hätte, ist nicht ersichtlich.

Angesichts dessen ist der vertraglich vereinbarte Stundenlohn als Bruttolohn zu vergleichen mit den tarifvertraglich festgelegten Bruttostundenlöhnen. Der vertraglich vereinbarte Stundenlohn liegt um ca. 48 % unter der tarifvertraglichen üblichen Vergütung und wird damit insoweit um mehr als 1/3 unterschritten. Es liegt daher ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor. Eine arbeitsvertragliche Abrede, nach der die arbeitnehmerische Leistung mit nur etwas mehr als der Hälfte der üblichen Vergütung entlohnt werden soll, ist mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren und stellt ein unangemessenes, der Korrektur bedürfendes Ungleichgewicht der gegenseitigen Leistungsverpflichtung dar.

Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 138 BGB ist ein Anspruch der Klägerin auf die übliche Vergütung gemäß § 612 Abs. 2 BGB. Die übliche Vergütung ergibt sich, wie ausgeführt, aus dem Lohntarifvertrag des Einzelhandels NRW. (…)

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