Und es gibt doch Leistungen für EU-Ausländer – wenn ein Bezug zum Arbeitsmarkt da ist


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Das Sozialgericht Kiel – S 28 AS 216/15 ER – hat entschieden, dass polnische Staatsbürger die einer geringfügigen Arbeit nachgehen nicht nach § 7 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sind. Dazu reiche eine Beschäftigung mit einem Umfang von 12 Stunden im Monat aus.
Es ist also auch nach der Entscheidung des EuGH noch möglich, dass europäische Ausländer die in Deutschland wohnen Leistungen nach dem SGB II beziehen. Sie müssen – so auch die entsprechenden Vorschriften – einen Bezug zum Arbeitsmarkt haben.

Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig – es bleibt abzuwarten was das Landessozialgericht dazu entscheiden wird. Ich werde berichten.

Das Sozialgericht hat in seiner Entscheidung folgendes ausgeführt (bearbeitet und gekürzt):

Obwohl die Antragsteller polnische Staatsangehörige sind, sind die als Ausländer nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen, da keine der drei Nummern erfüllt ist. Die Antragstellerin hält sich nicht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche nach Nr. 2 in Deutschland auf. Vielmehr ist sie eine Arbeitnehmerin im Sinne des § 7 Aba: 1 Satz 2 Nr. SGB II.
Der Arbeitnehmerbegriff In § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II ist, da diese Vorschrift der Umsetzung der. Unionsbürgerrichtlinie dient europarechtlich zu bestimmen (vgl. Leopold in: jurisPK, SGB II, 4. Auflage, § 7,Rdnr.85). Arbeitnehmer haben nach § 2 Abs 1, Abs. 2 Nr, 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) ein Aufenthaltsrecht. Als Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 39 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal
des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. EuGH, Urteil vom 04.06.2009, C-22/08, C·23/08, Rdnr. 26, zitiert nach juris). Auch derjenige ist also Arbeitnehmer im Sinne des Freizügigkeitsrechts, der nur über ein geringfügiges, das Existenzminimum nicht deckendes Einkommen verfügt. Entscheidend ist vielmehr, ob das betreffende Arbeitsverhältnis auf aufgrund einer Gesamtbewertung von den nationalen Stellen als tatsächlich und echt angesehen werden kann (vgL EuGH, a.a.O., Rdnr. 30). Unter Bezugnahme auf das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge, das in Deutschland gilt, gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass unbefristet geschlossene Arbeitsverhältnisse mit einem geringen Arbeits- und demzufolge auch Entlohnungsumfang
nicht als tatsächlich und echt angesehen werden.
Das LSG Berlin-Brandenburg hat einen aufschlussreichen Überblick über die Rechtsprechung zur Untergrenze gegeben:

„Es finden sich Einzelaussagen, eine allgemeine Formulierung zur Bestimmung der Untergrenze und die anderen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte geben Anhaltspunkte. Zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft reicht danach eine Teilzeitbeschäftigung aus. Sie muss nicht den Umfang haben, dass aus ihr Einkommen erzielt wird, das im Beschäftigungsgebiet als Minimaleinkommen definiert ist oder angesehen wird (bereits EuGH, Urteil vom 23. März 1982, Rs 53/81) bzw. das den Bezug ergänzender Sozialleistungen nötig macht bzw ausschließt (EuGH, Urteil vom 03. Juni 1986, Rs 139/85). Nationale Geringfügigkeitsgrenzen können zur Abgrenzung nicht herangezogen werden. Die Arbeitnehmereigenschaft kann allerdings nicht durch Tätigkeiten begründet werden, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (grundlegend EuGH, Urteil vom 23. März 1982 aaO, etwa auch EuGH, Urteil vom 06. November 2003 aaO). In der Rechtsprechung des EuGH ist die Bagatellklausel nicht als erfüllt angesehen worden bei einer von Beginn an zeitlich auf zweieinhalb Monate befristeten (Vollzeit-) Tätigkeit (EuGH, Urteil vom 06. November 2003 aaO), bei einer 30 Wochenstunden umfassenden Tätigkeit eines Rehabilitanden gegen Unterkunft und Taschengeld (EuGH, Urteil vom 07. September 2004 Rs, C 456/02), bei einem Zeitumfang von 12 Wochenstunden (Urteil vom 03. Juni 1986 Rs, 139/85) und auch von 10 Wochenstunden (Urteil vom 14. Dezember 1995, Rs C 444/93). Zuletzt ist die Arbeitnehmereigenschaft – in diesem Falle auch vom vorlegenden Bundessozialgericht – nicht in Frage gestellt worden bei einer Beschäftigungszeit zwischen 3 und 14 Stunden wöchentlich bei einem Einkommen zwischen 40 und 168,67 Euro (Urteil vom 18. Juli 2007, Rs C 213/05) sowie bei einer „kurzen und nicht existenzsichernden“ geringfügigen bzw. einer „wenig als mehr als einen Monat dauernden“ Beschäftigung (Urteil vom 04. Juni 2009, Rs C 22/08 verbunden mit C 23/08). Von den nationalen Gerichten hat das LSG NRW eine Tätigkeit im Umfang von 4 Stunden pro Woche bei einem Monatslohn von 160,00 Euro für ausreichend gehalten, die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen (Beschluss vom 30. Januar 2008 – L 20 B 76/07 SO) und das LSG Berlin-Brandenburg eine Beschäftigung von 10 Stunden pro Woche bei tariflicher Entlohnung (Beschluss vom 30. Mai 2008 – L 14 B 282/08 AS ER).“

Gemessen an dem obigen Maßstab und auch unter Bezugnahme auf die Beispiele aus der Rechtsprechung zu dieser Frage ist die Antragstellerin auf Grund ihrer geringfügigen Beschäftigung als Arbeitnehmerin zu qualifizieren, Zwar arbeitet sie derzeit lediglich in einem Umfang von 12 Stunden im Monat; es handelt sich jedoch um eine unbefristete Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und mithin um eine stabile Beschäftigungssituation. Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Antragstellerin die Tätigkeit nach Unterbrechung Ihrerseits wieder aufnehmen konnte. Der Tätigkeitsumfang ist zudem mit durch die Teilnahme am Integrationskurs begründet. Die Teilnahme an diesem Kurs, der Insbesondere Sprachkenntnisse
vermittelt, dient der langfristigen Integration der Antragstellerin – auch in den Arbeitsmarkt. Dieser Grund für den (noch) geringeren Umfang der Beschäftigung ist zu berücksichtigen. Die Antragstellerin geht im Ergebnis einer Beschäftigung zwar in nur geringem Umfang und demzufolge auch mit nur geringer Entlohnung nach, Jedoch ist die Beschäftigung unbefristet aufgenommen und in der Gesamtschau der Lebenssituation nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich zu qualifizieren. Einen Status als Arbeitnehmerin begründet diese Beschäftigung.
Da der Status als Arbeitnehmerin begründet ist, scheidet ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr, 2 SGB II aus.

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