ArbG Hamburg: Keine Kündigung einer Schwangeren ohne Begründung


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Das Arbeitsgericht Hamburg – 21 Ca 377/07 – hatte sich mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu beschäftigen, bei dem der Arbeitgeber ohne erkennbaren Grund gekündigt hatte. Zudem hatte der Arbeitgeber die Schwangere Arbeitnehmerin ohne behördliche Zustimmung gekündigt. Das Arbeitsgericht Hamburg gab der Kündigungsschutzklage statt.

Leitsätze des ArbG Hamburg:

1. § 242 BGB erstreckt sich nicht allein auf die äußeren Umstände der Kündigungserklärung, sondern schützt auch vor materiell unzureichenden Gründen. Ein Arbeitgeber handelt willkürlich, der gar keinen Kündigungsgrund hat oder ihn nicht angibt. Es muss ein arbeitsvertragsbezogener Grund vorliegen, der einleuchtend ist und der ein ge­wisses Gewicht hat.

2. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitverhältnis mit einer Frau, von deren Schwangerschaft er innerhalb von 2 Wochen nach Ausspruch der Kündigung Kenntnis erlangt hat, ohne behördliche Zustimmung, so ist die Arbeitnehmerin nicht gehalten, die Nichtigkeit der Kündigung innerhalb der Frist der § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich geltend zu machen.

Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung sowie einer Befristung, um Beschäftigung und um die Zahlung von Geld.Die 1980 geborene Klägerin ist ledig. Sie stellt ihre Arbeitskraft der Beklagten seit dem 1.2.2007 im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zur Verfügung.
Gemäß § 1 des Arbeitsvertrages vom 1.2.2007 (Blatt 29 der Akte) erfolgte die Einstellung der Klägerin als Zimmerfrau. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist laut Arbeitsvertrag vom 1.2.2007 befristet bis zum 4.2.2008. (…)
Am 19.7.2007 wurde bei der Klägerin durch einen Arzt eine Schwangerschaft festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich in der 5./6. Schwangerschaftswoche.
Mit Schreiben vom 24.7.2007 kündigte die Beklagte ohne behördliche Genehmigung das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis zum 9.8.2007 (Blatt 8 der Akte). Die Kündigung ging der Klägerin am 25.7.2007 zu. Mit ihrer am 16.8.2007 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 28.8.2007 zugestellten Klage macht die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung vom 24.7.2007 geltend. Sie begehrt ferner Weiterbeschäftigung.
Die Klägerin meint, dass die Kündigung gegen § 9 Mutterschutzgesetz verstoße und deshalb unwirksam sei. Sie behauptet, dass sie ihre Vorgesetzte, die Vorarbeiterin Frau S., am 23.7.2007 um 13:54 Uhr auf dem Handy angerufen und darüber informiert habe, dass sie schwanger und aufgrund schwangerschaftsbedingter Beschwerden arbeitsunfähig sei. Sie habe sich dann bei der Mitarbeiterin der Beklagten im H. Büro Frau V. telefonisch beschwert und darauf hingewiesen, dass sie in der Schwangerschaft nicht gekündigt werden könne. Frau V. habe ihr mitgeteilt, dass sie sich an die Zentrale in D. wenden solle. Vor dem Zugang der Kündigung am 24.7.2007 habe sie mehrere Male mit der Beklagten in D. telefoniert und ihre Schwangerschaft mitgeteilt. In D. habe man ihr gesagt, dass sie sich an die Geschäftsstelle in M. wenden solle. Dort habe man sie nach H. verwiesen. Schließlich habe sie sich am 31.7 2007 schriftlich an die Beklagte gewandt.
Mit diesem Schreiben vom 31.7.2007 widersprach die Klägerin der Kündigung. Sie teilte der Beklagten durch dieses Einschreiben mit, dass sie Frau S. am 23.7.2007 gesagt habe, dass sie weiterhin krank geschrieben und schwanger sei; sie habe Frau S. gebeten, dies an Frau L. weiterzugeben (Anlage K 4, Blatt 49 der Akte). Das Schreiben der Klägerin vom 31.7.2007 ging der Beklagten am 3.8.2007 zu.
Die Klägerin behauptet, dass die Kündigung der Beklagten die Reaktion auf ihre Schwangerschaft gewesen sei. (…)

Entscheidungsgründe

(…) Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 24.7.2007 ist rechtsunwirksam. Die Beklagte ist des Weiteren verpflichtet, der Klägerin die Arbeitsvergütung für die Zeit von August 2007 bis Januar 2008 zu zahlen. (…)
1. Die Kündigung der Beklagten vom 24.7.2007 beendete das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht. (…)
Die Kündigung der Beklagten ist rechtsunwirksam, weil sie § 242 BGB verletzt. Denn sie ist willkürlich.

Vorliegend bestand das Arbeitsverhältnis der Parteien noch keine 6 Monate. Der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes gilt daher nicht. Nach der Rechtsprechung des BVerfG gewährleisten jedoch die zivilrechtlichen Generalklauseln den durch Art. 12 Abs. 1 GG gebotenen Mindestschutz der Arbeitnehmer, soweit die Bestimmungen des KSchG nicht greifen. Dort, wo der Gesetzgeber es unterlassen hat, durch zwingende Bestimmungen einen Mindestschutz zu regeln, ist es im Einzelfall Aufgabe des Richters, den objektiven Grundentscheidungen der Grundrechte mit den Mitteln des Privatrechts, insbesondere der zivilrechtlichen Generalklausel § 242 BGB, Rechnung zu tragen. Dies führt im vorliegenden Fall zur Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung der Beklagten. Denn dem Arbeitnehmer darf außerhalb des KSchG das sozialstaatlich gebotene Minimum seiner Berufsausübung nicht grundlos entzogen werden. Der Mindestkündigungsschutz ist mehr als eine Option, von der nach freiem Ermessen Gebrauch gemacht werden könnte. Er ist vielmehr verfassungsrechtlich geboten. Art. 12 GG gewährleistet den Kernbestand eines Arbeitsplatzschutzes. (…)
Treu und Glauben bilden allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen eine entsprechende inhaltliche Begrenzung. Damit kommt es durch § 242 BGB zu einer Inhaltskontrolle von Arbeitgeberkündigungen. Die grundsätzlich bestehende Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers wird inhaltlich durch die Frage begrenzt, ob einem verständigen Arbeitsgeber eine Rücksichtnahme i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB in der Weise zuzumuten ist, dass er eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses unterlässt. (…)

Ein Arbeitgeber, der gar keinen Grund hat oder ihn nicht angibt, handelt ebenfalls willkürlich. Es muss ein arbeitsvertragsbezogener Grund vorliegen, der einleuchtend ist und der ein gewisses Gewicht hat. Dabei soll der Arbeitgeber einerseits außerhalb des KSchG keinem materiellem Begründungserfordernis unterworfen sein. Die sachgrundlose Kündigung wäre demnach abgesehen von Willkürfällen frei. Dagegen spricht, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG der Arbeitnehmer im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG den Arbeitsplatz nicht aus Gründen verlieren darf, die in keinem schutzwürdigen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen. Daher muss ein grundrechtlich geleitetes Verständnis von Treu und Glauben dazu führen, dass eine ordentliche Kündigung nach § 242 BGB nichtig ist, wenn die Kündigung evident sozialwidrig wäre bzw. der Arbeitgeber sich nicht auf einen sachbezogenen, im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Grund stützen kann. (…)

In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Kündigung der Beklagten willkürlich ist. Die Klägerin hat geltend gemacht, dass ihr wegen der Schwangerschaft gekündigt wurde. Die Beklagte hat als Grund für ihre Kündigung vom 24.7.2007 zum 9.8.2007 einzig den Verlust des Reinigungsauftrags zum 31.12.2007 angegeben. Dieser Hinweis kann gedanklich gestrichen werden, da er offensichtlich in keinem Zusammenhang mit dem Kündigungssachverhalt steht. Die Beklagte ist daher so zu behandeln, als ob sie gar keinen Grund für die von ihr ausgesprochene Kündigung angegeben hat, obwohl die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht hatte. Demzufolge war festzustellen, dass die Kündigung gegen das Willkürverbot des § 242 BGB verstößt.

c) Die Kündigung der Beklagten ist des Weiteren auch deshalb rechtsunwirksamen, weil sie gemäß § 138 BGB, § 9 MuSchG nichtig ist.

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einer Frau während der Schwangerschaft ist unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird (§ 9 MuSchG). Die Kündigung ging der Klägerin am 25.7.2007 zu. Das Schreiben der Klägerin vom 31.7.2007, in dem die Klägerin auf ihre Schwangerschaft hinwies, ging der Beklagten innerhalb von 2 Wochen, nämlich am 3.8.2007 zu. Die Beklagte muss sich deshalb so behandeln lassen, als ob sie in Kenntnis der Schwangerschaft der Klägerin kündigte.

Der Arbeitgeber kann vom Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 MuSchG durch rechtskräftigen Verwaltungsakt der zuständigen Landesbehörde in besonderen Fällen ausnahmsweise befreit werden. Eine solche Befreiung ist der Beklagten im vorliegenden Fall nicht erteilt worden. Eine verbotswidrig erklärte Kündigung ist gemäß § 134 BGB nichtig. (…)

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