LAG Hamm: Essen am Arbeitsplatz


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Das Landesarbeitsgericht Hamm – 8 Sa 68/06 – hat entschieden, dass eine im Altenheim beschäftigte Altenpflegerin auch bei Fehlen spezieller Hygienevorschriften gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstößt , wenn sie auf dem Weg zur Pflegetätigkeit über den für Bewohner und Besucher zugänglichen Flur ein Brötchen verzehrt. Im Dienstleistungsbereich mit Kundenkontakt entspricht ein solches Verhalten schon nach der Verkehrsanschauung auch ohne ausdrückliche vertragliche Regelung oder Anweisung nicht dem erwarteten Erscheinungsbild des Unternehmens. Wenn die beim Brötchenverzehr angetroffene Arbeitnehmerin im Personalgespräch hartnäckig und uneinsichtig an ihrer Auffassung der Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens mit den Worten festhält, „Ich esse, wann ich will“, so ist gleichwohl vor Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung eine Abmahnung erforderlich.

Aus dem Urteil (bearbeitet und gekürzt):

Sachverhalt:

Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin, welche seit dem 01.06.2004 als Altenpflegerin in dem von der Beklagten betriebenen Seniorenstift gegen eine monatliche Bruttovergütung von 2.387,00 € beschäftigt ist, gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch fristlose und vorsorglich fristgerechte Kündigung vom 28.06.2005 und macht ferner einen Anspruch auf arbeitsvertragsgemäße Weiterbeschäftigung geltend.

Die angegriffene Kündigung stützt die Beklagte im Wesentlichen auf den Vorwurf, die Klägerin habe, nachdem sie am 27.06.2005 gegen 8.15 Uhr von der Stiftsdirektorin auf dem Flur beim Verzehr eines Brötchens angetroffen und auf die Unzulässigkeit dieses Verhaltens angesprochen worden sei, sowohl bei dieser Gelegenheit als auch im sich unmittelbar anschließenden Gespräch im Büro der Stiftsdirektorin und schließlich noch einmal bei einem weiteren Gespräch gegen 11.30 Uhr unter weiterer Teilnahme von Pflegedienstleitung und Wohnbereichsleitung beharrlich und uneinsichtig ihr Verhalten mit den Worten verteidigt, „ich esse wann und wo ich will“. Mit diesem Verhalten habe die Klägerin zum Ausdruck gebracht, sie sei nicht gewillt, Weisungen der Vorgesetzten zu befolgen und die im Betrieb maßgeblichen Hygienevorschriften zu beachten. Nachdem es bereits in der Vergangenheit wiederholt zu Problemen mit der Klägerin – auch wegen eigenmächtiger Abweichungen von Dienstanweisungen – gekommen sei und die Klägerin noch unter dem 13.05.2005 abgemahnt worden sei, belege das jetzige Verhalten der Klägerin definitiv die Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses. Demgegenüber hat die Klägerin die Berechtigung früherer Beanstandungen in Abrede gestellt, sich für ihr den Verzehr des Brötchens am 27.06.2005 auf gesundheitliche Probleme berufen und bestritten, gegen angeblich bestehende Hygienevorschriften verstoßen zu haben. Von einer Weigerung gegenüber der Stiftsdirektorin, arbeitsvertragliche Regeln und Weisungen zu beachten, könne keine Rede sein, In Wahrheit liege der Grund für die ausgesprochene Kündigung darin, dass sich die Klägerin an den Vorbereitungen zur Gründung eines Betriebsrats beteiligt habe, wovon die Beklagten offenbar unmittelbar vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis erhalten habe. (…)

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Sie führt unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils zur antragsgemäßen Feststellung, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung vom 28.06.2005 weder fristlos noch fristgerecht beendet worden ist. Weiter ist die Beklagte zur vertragsgemäßen Weiterbeschäftigung verpflichtet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die angegriffene fristlose Kündigung vom 28.06.2005 nicht beendet worden.

Das Arbeitsgericht hat einen „wichtigen Grund“ im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB in der Tatsache gesehen, dass die Klägerin, obgleich ihr nachdrücklich die Unzulässigkeit des Brötchenverzehrs verdeutlicht worden war, beharrlich an ihrer Auffassung festgehalten hat, sie sei zu einem derartigen Verhalten berechtigt und könne essen, wann und wo sie wolle. Nicht der (einmalige) Verzehr des Brötchens auf dem Flur, wohl aber das nachfolgende uneinsichtige Beharren auf der eingenommenen Rechtsposition und die hieraus abzuleitende Befürchtung, die Klägerin werde das beanstandete Verhalten jederzeit wiederholen, mache die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar, ohne dass es einer vorangehenden förmlichen Abmahnung bedürfe.

Dieser Würdigung vermag die Kammer nur insoweit zu folgen, als es die Beurteilung des Verhaltens der Klägerin im Sinne eines erheblichen Vertragsverstoßes betrifft. Demgegenüber teilt die Kammer nicht den Standpunkt des Arbeitsgerichts, unter den vorliegenden Umständen habe die Beklagte aufgrund der in der Beweisaufnahme bestätigten Äußerungen der Klägerin mit einer jederzeitigen (aktuellen) Fortsetzung oder Wiederholung der Pflichtverletzung rechnen müssen, wobei die gezeigte Uneinsichtigkeit auch die Erteilung einer Abmahnung als aussichtslos habe erscheinen lassen. (…)

Hieraus ergibt sich zwar, dass der – auch noch in der Berufungsbegründung beibehaltene – Rechtsstandpunkt der Klägerin zur Zulässigkeit des Essens auf dem Flur nicht haltbar ist. Allein das Festhalten an einer unrichtigen Rechtsauffassung stellt jedoch, wie vorstehend ausgeführt worden ist, für sich genommen jedoch keine Pflichtverletzung dar. Arbeitsvertraglich war die Klägerin nicht zu einer bestimmten Einsicht und auch nicht dazu verpflichtet, vom ihrem (unrichtigen) Rechtsstandpunkt abzurücken, maßgeblich ist vielmehr, ob aufgrund der im Personalgespräch abgegebenen Erklärungen eine Fortsetzung oder Wiederholung des beanstandeten Verhaltens zu erwarten war. Auch in der ernsthaften Ankündigung einer Arbeitsverweigerung oder eines Pflichtenverstoßes kann eine schwere Pflichtverletzung liegen, insbesondere wenn dem Arbeitgeber nicht zuzumuten ist abzuwarten, ob der angekündigte Pflichtenverstoß tatsächlich erfolgt. Hiervon zu unterscheiden ist indessen das abstrakte (uneinsichtige) Beharren, zu einem bestimmten Verhalten berechtigt zu sein, ohne dass schon hieraus hergeleitet werden kann, der eingenommene Standpunkt werde aktuell in die Tat umgesetzt. Erfahrungsgemäß beharrt der Arbeitnehmer nicht in jedem Falle auf der Durchsetzung seines Standpunkts, wenn dies zu einer ernsthaften Belastung des Arbeitsverhältnisses oder gar zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen könnte, ohne andererseits von seiner Rechtsauffassung abzurücken. Dementsprechend ist hier entscheidend, ob die Beklagte unter den vorliegenden Umständen die Erklärung der Klägerin, sie esse, wann sie wolle, zu Recht im Sinne der Ankündigung verstanden hat, sie – die Klägerin – werde nach Beendigung des Personalgesprächs sogleich bzw. noch während der Arbeitsschicht ihr pflichtwidriges Verhalten fortsetzen oder wiederholen. (…)

Auf dieser Grundlage kann aber zugunsten der Beklagten als zutreffend unterstellt werden, dass die Klägerin mit der Erklärung, sie könne essen wann sie wolle, nicht lediglich abstrakt auf ihrem irrigen Rechtsstandpunkt beharrt hat oder sich allein gegen einen vermeintlich unberechtigten Vorwurf zur Wehr setzen wollte, sondern zugleich zum Ausdruck gebracht hat, sie werde ihr Recht auch künftig weiterhin wahrnehmen. Unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen ist nämlich festzuhalten, dass eine unmittelbare Umsetzung dieses Verhaltens nicht zu befürchten war. Da auch nicht ersichtlich ist, dass der Dienstablauf ein sofortiges Handeln der Beklagten forderte, hätte der Klägerin durch eine förmliche Abmahnung verdeutlicht werden können und müssen, dass im Falle eines wiederholten Pflichtverstoßes der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in Frage gestellt war. (…)

Auch die Tatsache, dass die Klägerin noch im Prozess ihre Rechtsauffassung verteidigt hat, folgt nicht die Sinnlosigkeit und Aussichtslosigkeit einer Abmahnung. Ersichtlich geht es bei dem Prozessvorbringen der Klägerin um die Abwehr der ausgesprochenen Kündigung und die Verteidigung gegen den Kündigungsvorwurf „beharrlicher Uneinsichtigkeit“, nicht hingegen ist das Klageziel darauf gerichtet, das Recht, Brötchen auf dem Flur zu verzehren, gerichtlich klären zu lassen und sich künftig entsprechend zu verhalten. (…)

In Abgrenzung hierzu bietet der vorliegende Sachverhalt keine Grundlage für die Annahme, die Klägerin sei auch durch eine förmliche Abmahnung nicht davon abzubringen gewesen, bei Bedarf trotz entgegenstehender Weisung auf dem Flur der Pflegestation Lebensmittel zu verzehren, selbst wenn damit der Bestand des Arbeitsverhältnisses aufs Spiel gesetzt werde. Allein die Tatsache, dass die Klägerin auf der Grundlage eingeholten Rechtsrats an ihrer Rechtsauffassung festhielt, an sich zu einem solchen Verhalten berechtigt zu sein, rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Klägerin auch auf eine förmliche Abmahnung hin ihren Standpunkt auch in die Tat umgesetzt und es hätte darauf ankommen lassen, ob die Beklagte tatsächlich zum Mittel der Kündigung greift.

Soweit die Beklagte als Beleg für die beharrliche Uneinsichtigkeit der Klägerin und die Entbehrlichkeit einer Abmahnung auf frühere Vorfälle und insbesondere die Abmahnung vom 13.05.2005 verweist, sind diese nach Art und Umständen weder mit der hier maßgeblichen Pflichtverletzung vergleichbar, noch lässt sich mit den früheren Vorgängen belegen, die Klägerin sei konkret im Hinblick auf die aktuelle Vertragsverletzung auch durch eine Abmahnung nicht zur Vernunft zu bringen. Im Gegenteil belegt die Tatsache, dass die Klägerin auf das Abmahnungsschreiben vom 13.05.2005 zwar mit einer Gegendarstellung reagiert, gleichwohl aber das beanstandete Verhalten nicht wiederholt und davon abgesehen hat, ihre Auffassung von der sachgerechten Dienstplangestaltung gegen den Willen der Beklagten umzusetzen, dass die Klägerin – trotz gewisser Neigung zur Eigensinnigkeit – bereit und in der Lage ist, die mit einer Abmahnung verbundene Kündigungsandrohung ernst zu nehmen und ihr Verhalten daran auszurichten. (…)

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