ARGE muss mittellosem Darlehen für Lebensmittel gewähren


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Das Sozialgericht Bremen – S 26 AS 528/09 ER – hat beschlossen, dass einem mittellosen Hartz 4 Empfänger Lebensmittelgutscheine und Bargeld für Fahrten zum Arzt sowie für die Praxisgebühr zu gewähren sind. Es ist rechtswidrig einen Empfänger auf Lebensmittel von der „Tafel“ zu verweisen.

Aus dem Beschluss (bearbeitet und gekürzt):
Der Antragsteller begehrt Lebensmittelgutscheine, Fahrgeld sowie die Übernahme notwen-diger Arztkosten.
Er wurde am 16.02.2009 aus der JVA H. entlassen. Zurzeit macht er eine Methadon-Therapie, für die er Praxis- und Rezeptgebühren in Höhe von 20,00 Euro zahlen muss.
Am 24.02.2009 beantragte er bei der Antragsgegnerin eine Beihilfe für die Erstausstattung seiner Wohnung. Von der Antragsgegnerin erhielt er daraufhin einen Betrag in Höhe von 1.051,00 Euro ausgezahlt. Von diesem Betrag erwarb er entsprechende Einrichtungsgegenstände.
Am 17.03.2009 sprach er bei der Antragsgegnerin mit der Begründung vor, er habe keine finanziellen Mittel mehr für seinen Lebensunterhalt. Er erhielt eine Bescheinigung für die Tafel in W., wo er noch am selben Tag Lebensmittel erhielt.
Am gestrigen Tage, den 19.03.2009, hat er den vorliegenden Eilantrag gestellt, dem die An-tragsgegnerin mit Schriftsatz vom heutigen Tage mit der Begründung entgegen getreten ist, der Antragsteller habe bereits einen Lebensmittelgutschein für die W. Tafel erhalten. „In der Regel“ erhielten dort Hilfebedürftige einmal in der Woche Lebensmittel. Die Ausgabe eines Lebensmittelgutscheins für einen Supermarkt komme hier nicht in Betracht, weil solche Gutscheine nur im Falle von Sanktionen 40 % aufwärts ausgestellt werden könnten. Auch die Übernahme von Fahrgeld und Arztkosten aufgrund der Substitution könne nicht übernommen werden. Fahrgeld sei Bestandteil der Regelleistung, die an den Antragsteller bereits ausgezahlt worden sei. Im Übrigen übernehme die Krankenkasse die mit der Substitution verbundenen Ausgaben. (…)

Der Antragsteller hat seine Mittellosigkeit glaub-haft dargelegt. Sie wird auch von der Antragsgegnerin nicht bestritten. Ein Ermessen räumt die Vorschrift der Verwaltung insoweit nicht ein. Soweit die Antragsgegnerin meint, die Ge-währung von Lebensmittelgutscheinen komme nur bei einer Sanktionierung ab 40 % in Be-tracht, ist eine solche Verwaltungspraxis – so sie denn tatsächlich besteht – offensichtlich rechtswidrig. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II spricht eindeutig auch von einer Leistungsgewährung als Sachleistung, was entsprechende Gutscheine einschließt (Rothkegel/Bender in Gagel, SGB II, Komm., § 23 Rdnr.26).
Der Antragsgegnerin ist zuzugestehen, dass sie zu Recht darauf hinweist, die Hilfebedürftigen müssten mit den ihn gewährten Leistungen auskommen. Sie verkennt dabei aber, dass Leis-tungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die unabhängig von den Gründen der Hilfebedürftigkeit besteht (vgl. zu allem BVerfG, Beschl. v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 -). Vor diesem Hintergrund ist es unzulässig, einem unstreitig mit-tellosen Hilfeempfänger aus letztlich pädagogischen Gründen ein Darlehen für Lebensmittel zu verweigern. Unzulässig ist es aber auch, den Hilfebedürftigen in einer solchen Situation auf eine Lebensmitteltafel zu verweisen, ohne sicherstellen zu können, dass dort Lebensmittel in genügendem Maße vorhaben sind und verteilt werden können. Tafeln sind ein staatliche Hilfe ergänzendes Angebot; basierend auf dem Grundsatz ehrenamtlichen Engagements. Sie die-nen nicht der Abwälzung staatlicher Verantwortung für die Sicherung des Existenzminimums.
Vor diesem Hintergrund kann vorliegend dahinstehen, ob der Antragsteller tatsächlich über-haupt wusste, welcher Betrag für den Lebensunterhalt vorgesehen war. Da die Antragsgegne-rin telefonisch nicht mehr erreichbar war, konnte sie zu dem Vortrag des Antragstellers inso-weit nicht mehr gehört werden. Ohne Aktenkenntnis konnte das Gericht auch nicht überprü-fen, ob die Gewährung einer nur anteiligen Erstausstattungspauschale zu Recht erfolgte und ob die Leistungen auch ansonsten in korrekter Höhe bewilligt wurden. Allerdings ist dies auch nicht Gegenstand des Eilverfahrens.
Soweit die Antragsgegnerin meint, der Antragsteller müsse keine Zuzahlungen zu seiner The-rapie leisten, irrt sie. Nach § 61 Satz 1 SGB V hat er bei Medikamenten eine Zuzahlung zwischen fünf und zehn Euro zu leisten. Die Pflicht zur Zahlung der „Praxisgebühr“ folgt aus § 28 Abs. 4 SGB V. Diese Zuzahlungen sind bis zur Belastungsgrenze nach § 62 Abs. 1 SGB V zu leisten, die nach § 62 Abs. 1, Satz 2, Abs. 2 Satz 6 SGB V bei Versicherten, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II erhalten, bei nicht chronisch Kranken 2 % der jährlichen Regelleistung beträgt (sonst 1 %). Diese Vorschrift ist verfassungsgemäß (BSG, Urt. v. 22.04.2008 – B 1 KR 10/07 R -).
Die Barzahlung in Höhe von 60,00 Euro ist für die notwendigen Zuzahlungen sowie die Fahr-karten von Bremen-Nord in die Innenstadt vorgesehen. Das Gericht ist dabei davon ausge-gangen, dass der Antragsteller Fahrkarten der Tarifzone II benötigt. Sollte dies nicht der Fall sein oder er für den Rest des Monats weniger Fahrkarten benötigen, steht es ihm selbstverständlich frei, diese ohnehin nur darlehensweise gewährte Leistung nicht in Anspruch zu nehmen. (…)

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