BSG: Schmezensgeld ist kein Vermögen iSd SGB II


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Das Bundessozialgericht – B 14/7b AS 6/07 R – hat entschieden, dass es eine unbillige Härte bedeuten würde, wenn Schmerzensgeld als Vermögen im sinne des SGB II angerechnet werde würde. Das erhaltene Schmerzensgeld muss auch nicht Zeitnah für die Kompensation der erlittenen Verletzungen ausgegeben werden.

Aus dem Urteil (bearbeitet und gekürzt):

Sachverhalt:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger ab 1. Januar 2005 ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) zusteht. Die Beklagte geht davon aus, dass der Kläger nicht hilfebedürftig sei, weil er über Geldvermögen verfüge.
Der im Jahre 1970 geborene Kläger erlitt im Mai 1985 einen Verkehrsunfall. Hierfür erhielt er vom Verursacher des Unfalls Schmerzensgeldzahlungen in Höhe von insgesamt 70.000 DM. Von 1988 bis 1991 absolvierte er eine Lehre als Bauzeichner. Nach Arbeitslosigkeit und Bezug von Arbeitslosengeld nach dem (damaligen) Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bezog der Kläger ab 2. Oktober 1997 Anschluss-Arbeitslosenhilfe (Alhi). Die (damalige) Bundesanstalt für Arbeit (BA) hob im Jahre 1999 diese Bewilligung von Alhi ab 2. Oktober 1997 auf, weil der Kläger über ein Vermögen in Höhe von 155.040,05 DM verfügt habe und deshalb nicht bedürftig gewesen sei. (…)

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass dem Kläger ab 1. Januar 2005 ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II zusteht. Insbesondere ist der Kläger hilfebedürftig gemäß §§ 9, 11, 12 SGB II, weil das bei ihm vorhandene Vermögen überwiegend aus einer Schmerzensgeldzahlung herrührt und dessen Verwertung für ihn eine besondere Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 (2. Alternative) SGB II darstellen würde. (…)

Gemäß § 9 Abs 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere nicht von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Das beim Kläger am 1. Januar 2005 vorhandene Vermögen auf Geldanlagekonten in Höhe von 29.783,47 Euro ist gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II (2. Alternative) nicht als Vermögen zu berücksichtigen, weil dessen Verwertung für den Kläger eine besondere Härte bedeuten würde. Der erkennende Senat ist in seinen Urteilen vom 15. April 2008 (B 14/7b AS 68/06 R) sowie vom 6. September 2007 (B 14/7b AS 66/06 R) insoweit dem 11b. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) beigetreten, der in seinem Urteil vom 16. Mai 2007 (B 11b AS 37/06 R) klargestellt hat, dass die Annahme einer besonderen Härte iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II außergewöhnliche Umstände erfordert. Es muss sich hierbei um Umstände handeln, die nicht bereits in § 12 Abs 2 bzw § 12 Abs 3 SGB II als Privilegierungstatbestände erfasst sind. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass für die Anwendung des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II Umstände vorliegen müssen, die den Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit einer Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte.

Auch auf der Grundlage dieses strengen rechtlichen Maßstabes ist davon auszugehen, dass die Berücksichtigung eines aus einer Schmerzensgeldzahlung herrührenden Vermögens für den Betroffenen gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 (2. Alternative) SGB II eine besondere Härte darstellt. Das SGB II setzt insoweit allerdings einen Wertungswiderspruch fort, den bereits das Recht der Sozialhilfe und der Alhi enthielt. Dieser besteht darin, dass bestimmte Einnahmen zwar als Einkommen privilegiert werden, nicht jedoch als Vermögen. So regelt § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II bei der Frage der Berücksichtigung von Einkommen, dass Entschädigungen, „die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs 2 BGB geleistet werden“ nicht als Einkommen berücksichtigt werden. Im Moment des Zuflusses einer Schmerzensgeldzahlung gemäß § 253 Abs 2 BGB ist diese mithin auf Grund des Privilegierungstatbestands des § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II nicht zu Lasten des Grundsicherungsempfängers als Einkommen zu berücksichtigen. § 12 SGB II privilegiert hingegen Vermögensbestandteile nicht, die aus einer Schmerzensgeldzahlung herrühren.

Entsprechende Regelungen enthielt bereits das BSHG. Nach § 72 Abs 2 BSHG war eine Entschädigung wegen eines Nichtvermögensschadens gemäß § 253 Abs 2 BSHG nicht als Einkommen bei der Sozialhilfe zu berücksichtigen. Gemäß § 88 Abs 3 Satz 1 BSHG durfte die Sozialhilfe nicht vom Einsatz eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies eine Härte bedeuten würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) sollte zwar die Herkunft des Vermögens keine entscheidende Rolle bei der Frage spielen, ob eine Härte iS des § 88 Abs 3 Satz 1 BSHG vorlag (vgl nur Brühl in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 88 RdNr 78). Es wurden aber Situationen anerkannt, in denen die Herkunft das Vermögen derart prägt, dass eine Verwertungspflicht als Härte angesehen wurde. Dies war insbesondere der Fall, wenn das Vermögen aus einer Kapitalabfindung oä stammte, die ihrerseits gemäß §§ 76 bis 78 BSHG privilegiert war. Folglich war nach der Rechtsprechung des BVerwG im Rahmen des § 88 Abs 3 Satz 1 BSHG (bzw jetzt § 90 Abs 3 Satz 1 SGB XII auch anerkannt, dass die Verwertung eines aus einer Schmerzensgeldzahlung stammenden Vermögens eine „Härte“ bedeute. Dementsprechend war in der sozialhilferechtlichen Rechtsprechung und Literatur in der Zeit vor der Schaffung des SGB II und des SGB XII einhellig die Meinung vertreten worden, ein aus einer Schmerzensgeldzahlung stammendes Vermögen sei nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen bzw als Vermögen zu berücksichtigen. Im Recht der Alhi galt dasselbe. Der Gesetzgeber des SGB II und des SGB XII hat diesen Regelungszusammenhang und -widerspruch aus § 72 Abs 2 BSHG und § 88 Abs 3 Satz 1 BSHG in § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II (§ 83 Abs 2 SGB XII) – Privilegierung des Schmerzensgeldes gemäß § 253 Abs 2 BGB als Einkommen – und § 12 SGB II bzw § 90 SGB XII – keine ausdrückliche Privilegierung von Vermögen, das aus einer (angesparten) Schmerzensgeldzahlung herrührt – auch über den 1. Januar 2005 hinaus fortgesetzt. Es ist aber nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber damit unter Geltung des SGB II eine Abkehr von der tradierten Zuordnung derartiger Vermögen vornehmen wollte.
Die Privilegierung gilt indes nur, wenn das fragliche Vermögen tatsächlich aus einer Schmerzensgeldzahlung gemäß § 253 Abs 2 BGB herrührt. Ob dies der Fall ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die die jeweiligen Instanzgerichte zu treffen haben. Das LSG hat hier – den Senat gemäß § 163 SGG bindend – festgestellt, dass die am 1. Januar 2005 vorhandenen 29.783,47 Euro aus der Schmerzensgeldzahlung vom Jahre 1985 herrühren. Gegen diese Feststellung hat die Beklagte keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben. Damit hatte der Senat als Revisionsgericht bei seiner Rechtsprüfung davon auszugehen, dass der hier streitige Betrag aus der Schmerzensgeldzahlung stammt. Ob insoweit, wie die Revision meint, eine Beweisführungslast des Klägers besteht, kann deshalb dahinstehen.
Der Revision kann auch nicht gefolgt werden, soweit sie davon ausgeht, dass es „im Wesen“ des Schmerzensgeldes liege, dass dieses zeitnah zur Kompensation der immateriellen Schäden eingesetzt werden müsse. Ein Rechtssatz, wonach der Charakter des Schmerzensgeldes (Ausgleich für immaterielle Schäden) verloren gehen könne, wenn der jeweils Betroffene dieses lediglich anspare und nicht verbrauche, ist nicht ersichtlich. Das Schmerzensgeld ist jeweils in seiner ganzen noch vorhandenen Höhe geschützt (vgl BVerwGE 98, 256). Auch „angespartes“ Schmerzensgeld ist insofern gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II privilegiert. Es liegt innerhalb der Dispositionsfreiheit des Geschädigten, wie er mit den aus einem Schadensereignis resultierenden Beträgen zum Ausgleich des immateriellen Schadens umgeht. (…)

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2 Gedanken zu “BSG: Schmezensgeld ist kein Vermögen iSd SGB II”

  1. hallo. ist die rechtslage auch 2014 noch gültig? mir wurde schriftlich mitgeteilt, dass schmerzensgeld, welches man VOR dem ALG2-bedarf bekommen hat, angerechnet wird. angeblich wird schmerzensgeld, dass man WÄHREND dem bezug von ALG2 bekommt, nicht angerechnet.

    bin gespannt auf ihre antwort.

    • Ich kenne keine Entscheidung zu der Situation, dass das Schmerzensgeld vor dem ALG II Bezug zugeflossen ist.
      Ich denke es kommt darauf an, ob das Schmerzensgeld quasi für einen noch andauernden Schaden gezahlt wurde.

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