LSG Darmstadt: Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Wegeunfall


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Das Landessozialgericht in Darmstadt – AZ L 3 U 195/07 – hat entschieden, dass wer auf dem Weg zur Arbeit einen Umweg zum Tanken macht, den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz verlieren kann. Eine Arbeitnehmerin war auf der Fahrt zur Arbeit verunglückt. Die Arbeitnehmerin war nicht den direkten Weg gefahren. Sie hat behauptet dass der Kraftstoff nicht bis zur Arbeit gereicht hätte und das Sie deswegen bis zur nächsten Ortschaft in entgegengesetzter Richtung gefahren war um zu tanken.

Aus den Urteilsgründen (bearbeitet):
Auch der Umstand, dass die Klägerin glaubte, noch auf dem Hinweg tanken zu müssen, um die Arbeitsstätte zu erreichen, wie sie glaubhaft vor dem Senat vorgetragen hat, macht den von ihr angetretenen Umweg über VTR nicht zu einem versicherten Hinweg zur Arbeitsstätte.

Das Auftanken eines zur Fahrt nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzten Fahrzeugs gehört nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich zu dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten. Denn es handelt sich dabei um eine Verrichtung, die zwar üblicherweise der Aufnahme der Betriebstätigkeit vorangeht, der Betriebsarbeit aber zu fern steht, als dass sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Versicherten entzogen und der unter Versicherungsschutz stehenden, in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auf die unmittelbaren Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit ausgedehnten betrieblichen Sphäre zuzurechnen wäre. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass das Aufsuchen der Tankstelle durch den motorisierten Arbeitnehmer im Allgemeinen nicht – wie das Zurücklegen des Weges nach und von der Arbeitsstätte – zeitlich und örtlich fixiert ist, sondern dass der Arbeitnehmer hierfür meist über vielfache Auswahlmöglichkeiten verfügt, indem er das Tanken während der Freizeit an seinem Wohnort, während einer Arbeitspause am Ort des Betriebes oder auch irgendwo unterwegs vornehmen kann. Eine andere rechtliche Beurteilung kann allerdings dann gerechtfertigt sein, wenn das Nachtanken während der Fahrt von und zur Arbeitsstätte unvorhergesehen notwendig wird, damit der restliche Weg zurückgelegt werden kann. An diese Voraussetzungen sind allerdings keine zu strengen Anforderungen zu stellen. Als brauchbaren Anhaltspunkt und allgemeinen Maßstab für die Notwendigkeit des Tankens hat das BSG es deshalb auch zur Vermeidung einer zu starken Kasuistik angesehen, dass sich entweder während oder aber auch schon bei Antritt der Fahrt die Notwendigkeit ergibt, den Inhalt des Reservetanks in Anspruch zu nehmen. Die Bejahung der Notwendigkeit des Tankens hängt dabei nicht vom Nachweis ab, ob sich der Versicherte den Kraftstoff zumutbar an anderer Stelle (z.B. im Betrieb, bei Arbeitskollegen, Nachbarn) hätte besorgen können. Auch ist es für die Notwendigkeit des Tankens zumindest im Regelfall nicht entscheidend, welche Strecke der Versicherte mit dem Benzin des Reservetanks objektiv hätte zurücklegen können. Als nicht „betriebsbedingt“ anzusehen ist das Auftanken in jedem Fall allerdings dann, wenn der mitgeführte Treibstoffvorrat zur Neige geht, aber noch ausreicht, um den jeweiligen Endpunkt des Weges nach oder von der Arbeitsstätte zu erreichen und dies dem Versicherten auch bekannt ist, so dass seine subjektive Vorstellung und Handlungstendenz gar nicht darauf gerichtet sein kann, mit dem Tanken die Zurücklegung des weiteren Weges zu ermöglichen. Ferner darf das Betanken nach Art und Zeitaufwand nicht in einem Missverhältnis zur Dauer des Weges im Ganzen stehen.

Von diesen Grundsätzen ausgehend konnte der Senat sich nicht davon überzeugen, dass objektive Umstände des Einzelfalles die Klägerin in ihrer Auffassung bestätigen konnten, dass sie noch tanken müsse, um ihre Arbeitsstelle zu erreichen. Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt fünf Jahre in Besitz eines Führerscheins und während dieser Zeit auch Fahrerin eines Pkw, wie sie vor dem Senat selbst angegeben hat. Bevor ihr Stiefvater den Ford Fiesta, Baujahr 1997, angeschafft hatte, war sie mit dem Ford Escort ihres Ehemannes zur Arbeit nach OPZ-Stadt gefahren. Als mehrjährige Autofahrerin war ihr danach bekannt, welche Benzinmenge sie benötigte, um mit dem Ford Escort zur Arbeitsstelle nach OPZ-Stadt zu gelangen. Der erst wenige Tage vor der Unfallfahrt angeschaffte Ford Fiesta stammte von demselben Hersteller wie der Escort und die Klägerin musste von daher davon ausgehen, dass der Benzinverbrauch ähnlich war. Dass die Fiesta-Baureihe kleiner als die Escort-Baureihe war, spricht sogar für einen eher geringeren Spritverbrauch des Fiesta. Von einem durchschnittlichen Verbrauch eines derartigen Kleinwagens von ca. acht Litern pro 100 km ausgehend dürfte die Verbrauchsschätzung der Beklagten im Senatstermin mit einem Liter möglicherweise etwas zu gering sein. Von einem Verbrauch von mehr als zwei Litern für die 18 km vom Wohnort auf direktem Weg nach OPZ-Stadt konnte die Klägerin bei objektiver Betrachtung indessen nicht ausgehen. Sie hatte vor dem SG erklärt, sie habe erst morgens bemerkt, dass die Nadel der Tankuhr kurz vor dem roten Strich, also kurz vor der Reserve, sich befunden habe. Damit war der Reservebereich noch nicht erreicht und es muss offenbleiben, ob sie die Reservekraftstoffmenge überhaupt hätte in Anspruch nehmen müssen, wenn sie bei einem Verbrauch von ein bis zwei Litern auf dem direkten Weg nach OPZ-Stadt gefahren wäre. Zweifelsfrei steht damit objektiv fest, dass die verbliebene Kraftstoffmenge – selbst wenn die Nadel den Bereich des „roten Striches“ erreicht hätte – der Klägerin ein problemloses Fahren zur Arbeitsstätte in OPZ-Stadt erlaubt hätte. Der Klägerin ist danach zwar zuzugeben, dass sie möglicherweise mit dem am Unfalltag gefahrenen Ford Fiesta noch über nicht ausreichende einschlägige Erfahrungen zum Kraftstoffverbrauch und zum Umfang der Reservekraftstoffmenge verfügte und dass sie „auch eher ängstlich“ in dieser Frage war, wie sie vor dem SG angegeben hatte. Dennoch stützen die insofern nachvollziehbaren objektiven Umstände ihre Auffassung nicht, noch tanken zu müssen, da sie mit dem im Tank verbliebenen Kraftstoff glaubte den Arbeitsplatz OPZ-Stadt nicht mehr erreichen zu können. Die in der Rechtsprechung herausgearbeiteten und von der Literatur übernommenen objektiven Abgrenzungskriterien erlauben es entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung nicht, für den Fall der Klägerin das an sich unversicherte Tanken ausnahmsweise als versicherte Tätigkeit und den deswegen angetretenen Umweg als versicherten Weg anzusehen.

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