SG Lüneburg: Kürzung von Leistungen nach dem SGB II durch einen Sanktionsbescheid


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Das Sozialgericht Lüneburg – S 24 AS 22/08 ER – hat im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einen Sanktionsbescheid der die Leistungen nach dem SGB II eines Hartz IV – Empfängers gekürzt hat aufgehoben. dieser hatte sich geweigert eine Eingliederungsvereinbarung sofort zu unterschreiben.

Sachverhalt:

Der Antragsteller bezieht seit längerem von der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Leistungsbescheid vom 30. Oktober 2007 gewährte die Antragsgegnerin ihm Leistungen für den Zeitraum November 2007 bis Januar 2008 in Höhe von monatlich 607,66 Euro.

Mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 unterbreitete die Antragsgegnerin dem Antragsteller einen Vermittlungsvorschlag für eine Arbeitsgelegenheit nach §16 Abs. 3 SGB II. Bei einem persönlichen Besprechungstermin am 8. November 2007 unterbreitete die Antragsgegnerin dem Antragsteller weiterhin eine Eingliederungsvereinbarung.

Nachdem der Antragsteller weder die Arbeitsgelegenheit antrat noch die Eingliederungsvereinbarung unterzeichnete, kürzte die Antragsgegnerin mit zwei Sanktionsbescheiden vom 7. Dezember 2007 die dem Antragsteller gewährten Leistungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 31. März 2008 um je 30 %. Mit einem am gleichen Tage ergangenen Ausführungsbescheid setzte sie den Leistungsanspruch des Antragstellers für diesen Zeitraum auf monatlich 399,66 Euro fest. (…)

Entscheidungsgründe:

(…) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat in der Sache Erfolg, weil der Sanktionsbescheid vom 7. Dezember 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2008 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a SGB II wird das Arbeitslosengeld II um 30 v. H. der für die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Bei der rechtlich gebotenen einschränkenden Auslegung dieser Vorschrift liegt eine rechtlich relevante Weigerung des Antragstellers zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung nicht vor.

Gegen den Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a SGB II werden zu recht verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Vertragsautonomie und insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erhoben. Sie fußen insbesondere darauf, dass der Leistungsträger bei Nichtzustandekommen einer Eingliederungsvereinbarung als milderes Mittel gegenüber der Verhängung einer Sanktion die Möglichkeit hat, die angestrebte Regelung nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II durch Verwaltungsakt zu treffen. Diese verfassungsrechtlichen Bedenken lassen sich auch nicht mit der Argumentation ausräumen, dass der Gesetzgeber dem Abschluss der Eingliederungsvereinbarung bewusst dem Vorrang vor einer Festsetzung durch Verwaltungsakt gegeben habe, um sicher zu stellen, dass sich Leistungsträger und Hilfebedürftiger als „gleichberechtigte Partner“ begegnen und auf diese Weise eine passgenauere und situationsangemessenere Steuerung der Eingliederung in Arbeit zu erreichen. Das SGB II führt diese Konzeption nämlich selbst ad absurdum. Es scheint sich die Autonomie eines eigenverantwortlich handelnden Subjekts, eines Kunden moderner Sozialverwaltung auf die Fahnen, setzt aber als Mittel zur Zweckerreichung ein Sanktionsrecht ein, das ein fremdbestimmtes, unmündig handelndes Objekt staatlicher Sozialleistung geradezu voraussetzt. Die Eingliederungsvereinbarung als Steuerungsinstrument für einen kooperativ „ausgehandelten“ Eingliederungsprozess kann nach ihrer Eigenlogik nur bei freiwilligem Abschluss sinnvoll wirken.

Deshalb bedarf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a SGB II in zweifacher Hinsicht einer einschränkenden Auslegung. Zum einen darf das Arbeitslosengeld II nur gekürzt werden, soweit der Hilfebedürftige sich generell weigert, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Eine Sanktion darf daher nicht bereits dann verhängt werden, wenn der Hilfebedürftige eine Eingliederungsvereinbarung nicht unterschrieben hat, weil er nicht gänzlich fragwürdige Änderungswünsche vorgeschlagen oder sich eine Bedenkzeit ausgebeten hat. Soweit der Hilfebedürftige sich eine Bedenkzeit ausgebeten hat, kann alleine das Nichterscheinen des Hilfeempfängers zu einem angekündigten Termin oder eine fehlende schriftliche oder telefonische Meldung nach einer von der Behörde gesetzten Frist ohne weitere Sachverhaltsaufklärung noch nicht als endgültige Verweigerung eingeordnet werden. Zweitens ist für eine Kürzung der Grundsicherungsleistungen nur dann Raum, wenn der Leistungsträger den Nachweis führt, dass die Möglichkeit, die Eingliederungsvereinbarung mittels Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II festzulegen, zur Erfüllung des Förderungsgrundsatzes unzureichend ist.

Bei Anwendung dieses Maßstabes ist der Sanktionsbescheid vom 17. Dezember 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2008 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig. Der Antragsgegner hat vorgetragen und durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass er grundsätzlich bereit gewesen sei, eine Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen, gegen die am 8. November 2005 konkret vorgelegte Eingliederungsvereinbarung jedoch Bedenken gehabt habe. Die Antragsgegnerin hätte sich daher nicht darauf beschränken dürfen, dem Antragsteller die Eingliederungsvereinbarung auszuhändigen und ihn aufzufordern, diese innerhalb von einer Woche zu unterschreiben. Vielmehr wäre es tunlich gewesen, den Antragsteller zu einem weiteren Beratungsgespräch einzuladen, um dessen Bedenken auszuräumen oder durch eine Modifizierung der Eingliederungsvereinbarung zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind für das Gericht keine Gesichtspunkte ersichtlich, aus denen eine Festsetzung des Inhalts der Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt zur Erreichung des Förderzweckes nicht ausreichend gewesen wäre. (…)

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