SG Schleswig: Ungedeckte Unterkunftskosten eines Azubis im SGB II


, , , , , ,
Das Sozialgericht Schleswig – S 3 AS 213/08 ER – hat im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes entschieden, dass nach § 22 Abs 7 SGB II ein Auszubildender im Sinne der Norm einen Zuschuss zu seinen ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung erhält. Ungedeckt sind dabei diese Kosten nur dann, wenn sie auch nach Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des Auszubildenden ungedeckt sind. Dabei setzt § 22 Abs 7 S 1 SGB II eine vollständige Bedürftigkeitsprüfung nach §§ 9, 11, 12 SGB II voraus, bei der das dem Auszubildenden zur Verfügung stehende Kindergeld als dessen Einkommen zu berücksichtigen ist.

Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Höhe eines Zuschusses zu den ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 7 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1987 geborene Antragsteller (Ast.) bewohnt seit dem 01.08.2005eine Wohnung in …. Die Wohnung ist 42 m² groß. Die monatliche Kaltmiete beträgt 230,00 EUR. Darüber hinaus zahlt der Ast. eine monatliche Nebenkostenvorauszahlung (ausschließlich Strom, Kabelfernsehgebühren und Internetanschlussgebühren) sowie eine monatliche Heizkostenvorauszahlung in Höhe von – seit dem 01.01.2008 – jeweils 50,00 EUR.

Der Ast. absolvierte in der Vergangenheit eine Ausbildung und besucht jetzt, seit August 2007, die … (Fachoberschule) in …. Dafür bezieht er Leistungen nach dem Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz [BAföG]) in Höhe von 236,00 Euro monatlich. Darin enthalten ist die in § 12 Abs. 2 Nr. 2 BAföG enthaltene Wohnkostenpauschale in Höhe von 52,00 EUR sowie der in § 12 Abs. 3 BAföG vorgesehene Erhöhungsbetrag in Höhe von 64,00 Euro, in Summe 116,00 EUR. Der Ast. erhält außerdem Kindergeld in Höhe von monatlich 154,00 EUR (Bl. 18 VA), das ihm zur Verfügung steht, sowie Geldleistungen seiner Eltern in Höhe von monatlich 245,00 EUR (…).

Endscheidungsgründe:
Der Antrag hat keine Aussicht auf Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet. (…)

Während die Rechtsprechung in der Frage, ob § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II eine vollständige Bedürftigkeitsprüfung nach §§ 9, 11, 12 SGB II voraussetzt, als uneinheitlich bezeichnet werden muss, ist die Kammer der Auffassung, dass dies der Fall ist. Sie stützt sich dabei auf eine Auslegung des Gesetzeswortlauts, auf den objektivierbaren gesetzgeberischen Willen, auf die Systematik des SGB II und des BAföG sowie auf den Sinn und Zweck der einschlägigen gesetzlichen Regelungen.

Schon der Gesetzeswortlaut spricht dafür, dass der Anspruch nach § 22 Abs. 7 SGB II von einer Bedarfs- und Einkommensberechnung nach dem SGB II abhängt. § 22 Abs. 7 SGB II selbst spricht nur davon, dass Auszubildende, die Leistungen nach dem BAföG erhalten und deren Bedarf sich nach (…) BAföG bemisst, einen Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung erhalten. Dabei ist festzustellen, dass die Passage „deren Bedarf sich nach (…) BAföG bemisst“, keine inhaltliche Regelung trifft, wonach sich die Deckung der Unterkunftskosten nach dem BAföG bemesse. Stattdessen regelt die Vorschrift ausschließlich den Kreis der Leistungsberechtigten, indem sie bestimmt, dass dieser sich aus den Empfängern von BAföG-Leistungen zusammensetzt, deren Bedarf sich nach den näher bezeichneten Vorschriften des BAföG bemisst. Eine Ausnahme von dem für eine Leistung nach dem SGB II geltenden Prinzip der Hilfsbedürftigkeit begründet § 22 Abs. 7 SGB II nicht. Die Tatsache, dass Kindergeld im Rahmen der Bedarfsberechnung nach § 21 BAföG nicht als Einkommen angerechnet wird, ist für die Berechnung des Zuschusses nach § 22 Abs. 7 SGB II unerheblich.

Das Argument, § 22 Abs. 7 SGB II verweise lediglich auf § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II und gerade nicht auf andere Normen des SGB II, so dass hieraus der objektivierbare gesetzgeberische Wille entnommen werden könne, dass nur § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II für die Berechnung des Zuschusses Bedeutung haben solle, überzeugt ebenfalls nicht. § 22 Abs. 7 SGB II steht im Normengefüge des SGB II, so dass grundsätzlich die Anspruchsvoraussetzungen des 2. Kapitels des SGB II, in dem die §§ 9 und 11 SGB II stehen, Anwendung finden. Vielmehr hätte der Gesetzgeber positiv abweichend in § 22 Abs. 7 SGB II feststellen müssen, dass die §§ 9 und 11 SGB II keine Anwendung finden sollen. (…)

Auch aus der Gesamtschau der Regelungen, die der Gesetzgeber im SGB II und im BAföG getroffen hat, lässt sich nach Auffassung der Kammer nicht herleiten, dass eine Einkommensberechnung nach dem SGB II im Rahmen des § 22 Abs. 7 SGB II der Absicht des Gesetzgebers widerspreche, die sich aus der Aufhebung des § 21 Abs. 3 Nr. 3 BAföG hinsichtlich des Kindergeldes ergebe. Eines der Ziele des Ausbildungsförderungsreformgesetzes (AföRG) war eine Ausweitung der Förderungsberechtigten nach dem BAföG durch Neuregelung der Einkommensfreibeträge und die Nichtanrechnung des Kindergeldes; das BAföG sollte von Kindergeldanpassungen frei werden, so dass nicht bei einer Erhöhung automatisch eine verringerte BAföG-Förderung eintritt. Der Zuschuss soll hingegen Ausbildungsabbrüche verhindern, wenn die in der Ausbildungsförderung berücksichtigten Leistungen (zusammen mit eventuellen Härtefallleistungen nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II) nicht für eine Existenzsicherung ausreichen (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 16/1410, S. 24). Dass der Gesetzgeber aber den Auszubildenden, die bereits unterkunftssichernde BAföG-Leistungen erhalten, bei noch höherem Bedarf zumutet, diesen aus anderen Mitteln selbst zu decken, ist im Bereich der Erbringung staatlicher Fürsorgeleistungen wegen seines weiten Gestaltungsspielraums nicht zu beanstanden (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 31.03.2008, L 14 B 2271/07 AS, zitiert nach juris).

Für die Einkommensanrechnung gilt somit § 11 SGB II. Das dem Ast. monatlich zur Verfügung stehende Kindergeld in Höhe von 154,00 Euro ist zu berücksichtigen. Die Ag. setzt es zu Recht unter Abzug eines monatlichen Betrages von 30,00 Euro für Versicherungsleistungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V) als Einkommen an. Danach verbleiben bei dem Ast. ungedeckte Unterkunfts- und Heizkosten für den Monat April 2008 in Höhe von 47,50 Euro (171,50 EUR – 124,00 EUR). Da vorliegend nur über einen Zuschuss für 20 Tage des Monats April 2008 (11.04.08 bis 30.04.2008) entschieden werden kann, hat der Ast. einen Anordnungsanspruch in Höhe von 31,67 EUR (20/30 von 47,50 Euro) glaubhaft gemacht. (…)

Print Friendly, PDF & Email

Stress mit dem Arbeitgeber oder Ärger mit dem Jobcenter?
Ich höre Ihnen gut zu, berate und setze mich rasch und engagiert für Ihre Rechte ein.
Ihr Rechtsanwalt Stephan Felsmann aus Kiel
Tel: 0431-78029790

3 Gedanken zu “SG Schleswig: Ungedeckte Unterkunftskosten eines Azubis im SGB II”

  1. Wenn Kindergeld berücksichtigt wird, dann muss auch Bafög berücksichtigt werden und zwar unter Abzug des höheren Anteils für Bildung als zweckbestimmte Einnahme (zur Höhe des Abzugsbetrages siehe BSG v. 17.03.2009 sowie Hinweise zum §11 zweckbestimmte Einnahmen Abs.6). Jedenfalls zu ganz falschem Ergebnis führt die Berechnung, wenn dem ungedeckten Anteil an KdU nur das Kindergeld in HÖhe von 134 Euro (164-30 Euro Versicherungspauschale) gegenübergestellt wird. Dann ergibt sich in der Regel ein Zuschuss für ungedeckte KdU von ca. 30 Euro. Damit muss der Student den Grundbetrag des Bafög für den Lebensunterhalt aufwenden, den Wohnkostenanteil des Bafög für KdU, sein Kindergeld für die ungedeckten KdU zzg. minimaler Zuschuss von ARGE/Jobcenter nach §22. Wo bleibt dann der Anteil für Bildung?

Ihre Meinung zu...

Name und E-Mail Adresse sind nötig. Die E-Mail Adresse wird niemals veröffentlicht.


2024 © Rechtsanwalt in Kiel Rechtsanwalt Felsmann Anwalt in Kiel – Arbeitsrecht – Kündigungsschutz – Fachanwalt Sozialrecht

Impressum || Datenschutz || AGB