Hessisches LAG: Streik bei Vacuumschmelze zulässig


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Streik bei der Firma Vacuumschmelze GmbH & Co. KG in Hanau:
Entscheidungen des Hessischen Landesarbeitsgerichts in zwei einstweiligen Verfügungsverfahren der Firma gegen die Industriegewerkschaft Metall.

Die Vacuumschmelze GmbH & Co. KG ist eine der weltweit führenden Anbieterinnen von magnetischen Spezialwerkstoffen. Sie beschäftigt insgesamt mehr als 4.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, davon 1.500 an ihrem Stammsitz in Hanau. Zum 09. Juni 2008 wechselte die Firma bei ihrem Arbeitgeberverband (Hessenmetall) in eine Mitgliedschaft ohne Verbandstarifbindung (OT-Mitgliedschaft). Die Industriegewerkschaft Metall hält die Folgen dieses Wechsels für die Belegschaft für nachteilig. Sie stellte daher u.a. – Einzelheiten sind streitig – die Tarifforderung auf, die Firma solle mit ihr einen Anerkennungstarifvertrag hinsichtlich der Verbandstarifverträge abschließen. Nach Warnstreiks und ergebnislosen Verhandlungen fand bis zum 09. September 2008 einschließlich eine Urabstimmung zur Vorbereitung eines Streiks statt. Seit dem 11. September 2008 wird der Betrieb in Hanau nach einem entsprechenden Streikaufruf der IG Metall unbefristet bestreikt.
Die Vacuumschmelze GmbH & Co. KG hält den Streik für rechtswidrig. Sie hatte daher bei dem Arbeitsgericht Hanau eine einstweilige Verfügung gegen die IG Metall beantragt, womit der IG Metall untersagt werden sollte, zu Streiks in dem Betrieb Hanau aufzurufen und diesbezügliche Streikmaßnahmen durchzuführen und/oder zu unterstützen (Aktenzeichen: 3 Ga 3/08). Sie hatte darüber hinaus bei dem Arbeitsgericht Hanau eine weitere einstweilige Verfügung beantragt, gerichtet auf die Unterlassung von Handlungen, die den Betriebszugang während des Streiks behindern (Aktenzeichen: 3 Ga 4/08).

Die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Hanau hat mit Urteilen vom 12. September 2008 beide Anträge zurückgewiesen.

Die Vacuumschmelze GmbH & Co. KG hat unter dem 15. September 2008 gegen die beiden arbeitsgerichtlichen Urteile Berufung eingelegt. Hierüber hat das Hessische Landesarbeitsgericht – Kammer 9 – am heutigen Mittwoch, dem 17. September 2008, verhandelt.
Die Kammer 9 des Hessischen Landesarbeitsgerichts hat in beiden Verfahren die Berufungen der Vacuumschmelze GmbH & Co. KG zurückgewiesen.

Die Entscheidung bezüglich der Streikuntersagung (Aktenzeichen: 9 SaGa 1442/08) ist im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Gericht hat keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür gesehen, den Streik als rechtswidrig zu qualifizieren. Die Streikforderung der IG Metall, wie sie der Arbeitgeberin am 15. August 2008 mitgeteilt wurde und wie sie in den Aufrufen zu Warnstreiks, auf den Stimmzetteln zur
Urabstimmung zum Vollstreik und im Streikbeschluss des IG Metall-Vorstandes ihren Niederschlag gefunden hat, war hinreichend klar auf den Abschluss eines Anerkennungstarifvertrags und Vergütungsforderungen und nicht auf die Forderung nach einem Wechsel der Vacuumschmelze GmbH & Co. KG zur Vollmitgliedschaft im Verband Hessenmetall (dies wäre kein rechtmäßiges Streikziel
gewesen) gerichtet. Ob die Friedenspflicht nach einem Wechsel in die OT-Verbandsmitgliedschaft zugunsten des Unternehmens fortbesteht, solange der Flächentarifvertrag nach § 3 Abs. 3 TVG fortwirkt, ist eine streitige Rechtsfrage. Die Kammer begründete ihre Entscheidung bei der Urteilsverkündung damit, der Wechsel in die OT-Mitgliedschaft sei tarifrechtlich dem Verbandsaustritt gleichzusetzen. Für diesen wird in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertreten, dass der Schutzkreis der Friedenspflicht als schuldrechtliche Verpflichtung zwischen den Tarifvertragsparteien (IG Metall und Hessenmetall) auf die (Voll)Mitglieder der Tarifvertragsparteien beschränkt sei. Ein Unternehmen, das in die OT-Mitgliedschaft wechsele, begebe sich des Schutzes seines Verbandes gegenüber Arbeitskampmaßnahmen der Gewerkschaft.

Die Entscheidung bezüglich der Behinderung des Betriebszugangs (Aktenzeichen 9 SaGa 1443/08) erfolgte im Kern aus folgenden Gründen: Die Organisationsanweisungen der IG Metall an ihre Streikposten seien eindeutig, und ein kleinerer Vorfall am Morgen des ersten Streiktages konnte nach Auffassung der Kammer nicht belegen, dass die IG Metall ihren Aufsichts- und Einwirkungspflichten nicht nachkomme (Die Streikposten hatten an diesem Tage einen Mitarbeiter, der ein Betriebsgebäude betreten wollte, aufgefordert, den Haupteingang zu benutzen). Die IG Metall hat im Übrigen im Laufe der Berufungsverhandlung nochmals erklären lassen, dass Arbeitswillige grundsätzlich nicht am Zutritt des Betriebes gehindert würden.

Rechtsmittel gegen die Urteile des Landesarbeitsgerichts sind nicht gegeben.

Nach Pressemitteilung Nr. 11/08 vom 17. September 2008

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