LAG Rheinland-Pfalz: Kündigung wegen Strafanzeige gegen Vorgesetzte


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Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass wenn ein Arbeitnehmer eine Strafanzeige gegen Vorgesetzte erstattet, dies ein Verstoß gegen die Vertragliche Rücksichtnahmepflicht darstellen kann, der den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigt, wenn der Arbeitnehmer in der Strafanzeige gegen einen Repräsentanten des Arbeitgebers wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat.

Aus dem Urteil (bearbeitet und gekürzt):

Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise ordentlich erklärten Kündigung und um die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.

In dem Schreiben vom 04.07.2002 (vgl. B 2 des Anlagenordners) erhielt er eine schriftliche Abmahnung, weil er nach Auffassung der Beklagten sein Misstrauen gegenüber zwei Vorgesetzten, nämlich gegenüber dem Abteilungs- sowie dem Dezernatsleiter schriftlich erklärt und außerdem dem Leiter der Zentralstelle, Herrn V. den Gruß per Handschlag in Anwesenheit Dritter verweigert hatte. (…)Unter dem Datum vom 28.07.2006 stellte der Kläger bei der Staatsanwaltschaft A-Stadt einen Strafantrag gegen Herrn V., der vom 01.09.2000 bis 30.09.2003 Leiter der A. war, gegen Herrn U., der stellvertretender Dienststellenleiter während der Zeit vom 01.09.2000 bis März 2006 war, gegen Herrn T., der Dienststellenleiter in der Zeit vom 01.10.2003 bis März 2005 war, und gegen den Abteilungsleiter X. sowie den Dezernatsleiter W.. Seine Strafanzeige ergänzte er mit weiteren Angaben in den Schreiben an die Staatsanwaltschaft vom 10.08.2006 und 10.09.2006. Er vertrat dabei die Auffassung, das die Straftatbestände der Nötigung, Körperverletzung sowie Beleidigung erfüllt seien; wegen der Einzelheiten der Strafanzeigen wird auf die Anlage B 1 des Anlagenordners verwiesen. (…)Der Kläger hat mit einer am 04.09.2006 beim Arbeitsgericht Mainz eingegangenen Kündigungsklage die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung sowie während der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht vom 17.01.2007 des Weiteren auch die Unwirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die kraft Umdeutung der außerordentlichen Kündigung entnommen werden könne, und schließlich auch die Unwirksamkeit der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 22.12.2006 geltend gemacht.

Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Die Klage war abzuweisen, da das zwischen den Prozessparteien bestehende Beschäftigungsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 11.08.2006 rechtswirksam beendet worden ist. Insbesondere verstößt die außerordentliche Kündigung nicht gegen § 54 BAT.I.

Die tarifliche Regelung des BAT und mithin auch § 54 ist auf das Arbeitsverhältnis, kraft der Verweisung unter § 2 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 24.08.2000 anwendbar. Der den BAT im Bereich der Länder ersetzende TV-L trat erst am 01.11.2006 (§ 39 Abs. 1 TV-L), also nach Zugang der streitgegenständlichen Kündigung, in Kraft.

Nach § 54 Abs. 1 BAT sind der Arbeitgeber und der Angestellte berechtigt, das Arbeitsverhältnis aus einem wichtigen Grunde fristlos zu kündigen, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer den Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Wie im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich die erforderliche Überprüfung nach § 54 Abs. 1 BAT zweistufig. Zum einen muss ein Grund vorliegen, der überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips, zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen.

Erstattet ein Arbeitnehmer eine Strafanzeige gegen Vorgesetzte, kann dies ein an sich als wichtiger Grund geeigneter Sachverhalt sein, wenn der Arbeitnehmer in der Strafanzeige gegen einen Repräsentanten des Arbeitgebers wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat. Eine kündigungsrelevante erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann sich im Zusammenhang mit der Erstattung einer Strafanzeige im Einzelfall auch aus anderen Umständen ergeben.

Die vertraglichen Rücksichtnahmepflichten der Arbeitsvertragsparteien sind dahingehend zu konkretisieren, dass sich die Anzeige des Arbeitnehmers nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers oder seines Repräsentanten darstellen darf. Dabei können als Indizien für eine unverhältnismäßige Reaktion des anzeigenden Arbeitnehmers sowohl die Berechtigung der Anzeige als auch die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sprechen.

Die Gründe die den Arbeitnehmer dazu bewogen haben, die Anzeige zu erstatten, verdienen eine besondere Bedeutung. Erfolgt die Erstattung der Anzeige ausschließlich um dem Arbeitgeber zu schädigen bzw. „fertig zu machen“, kann – unter Berücksichtigung des der Anzeige zugrunde liegenden Vorwurfs – eine unverhältnismäßige Reaktion vorliegen.

Im vorliegenden Fall reagierte der Kläger mit seiner Strafanzeige auf die arbeitsrechtlichen Meinungsverschiedenheiten, die er mit seinem Vorgesetzten hatte. Diese Reaktion war unverhältnismäßig, da es an der Berechtigung der Anzeige fehlte, eine Motivation für die Strafanzeige, ausgehend von einem rational handelnden Arbeitnehmer, nicht erkennbar ist und andere Mittel zur Verfügung standen, die arbeitsrechtlichen Meinungsverschiedenheiten mit den Vorgesetzten zu klären.

Der Kläger verwies, um die Berechtigung der Strafanzeige zu begründen auf die Auseinandersetzungen, welche er mit den fünf Vorgesetzten während der Dauer seines Beschäftigungsverhältnisses hatte; hierbei schilderte er in einer tabellarischen Übersicht, welche auch seinem Schreiben an die Staatsanwaltschaft vom 10.09.2006 beigefügt war, insgesamt 140 Einzelvorkommnisse.

Dieser Schilderung ist aber kein strafrechtlich relevantes Verhalten der fünf Mitarbeiter zu entnehmen. Auch die Staatsanwaltschaft A-Stadt vertritt die Auffassung, dass den fünf Beschuldigten ein strafbares Verhalten nicht angelastet werden kann; sie stellte daraufhin das Ermittlungsverfahren mit Bescheid vom 04.01.2006 (Bl. 207 ff. d. A.) gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Der Kläger hat im Rahmen des vorliegenden Kündigungsrechtsstreits ebenfalls keine konkreten Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten der fünf angezeigten Vorgesetzten darzulegen vermocht. Vielmehr hat er immer wieder auf den geschilderten Verlauf des gesamten Arbeitsverhältnisses verwiesen. Soweit er darin aber z. B. unter der laufenden Nummer sechs der tabellarischen Übersicht ausführt, Herr X., damals Abteilungsleiter und Vorgesetzter des Klägers, habe auf Anforderung von Herrn U., damals stellvertretender Dienststellenleiter am 21.12.2006 einen Zwischenbericht mit für ihn ungünstigen oder nachteiligen Feststellungen erstellt und dieser Bericht sei dann, ohne seine Kenntnis, zur Personalakte genommen worden, war diese Vorgehensweise teilweise tarifwidrig (Verstoß gegen § 13 Abs. 2 BAT), erfüllte aber keinen Straftatbestand.

Wenn der Kläger weitere Einzelvorgänge zur Begründung seiner Strafanzeige schildert, wie z. B. die Ablehnung von Bewerbungen oder Urlaubsanträgen, die Erteilung von Ermahnungen oder Abmahnungen ist es vertretbar, über die arbeitsrechtliche Berechtigung dieser Maßnahmen unterschiedlicher Auffassung zu sein. Unvertretbar ist es aber, den Vorgesetzten in diesem Zusammenhang ein strafbares Verhalten zu unterstellen.

Im Übrigen legt der Kläger auch alltägliche Begebenheiten in seiner tabellarischen Übersicht dar, denen noch nicht einmal ein für seine Person arbeitsrechtlich relevanter, geschweige denn ein strafrechtlich relevanter Vorgang zu entnehmen wäre. (…)

Schließlich hätten dem Kläger andere Mittel zur Verfügung gestanden, um die arbeitsrechtlichen Meinungsverschiedenheiten mit seinen Vorgesetzten zu klären. Letztlich hätte er in diesem Zusammenhang, soweit er diese Meinungsverschiedenheiten für bedeutsam hielt, arbeitsgerichtliche Entscheidungen herbeiführen müssen. Dies ist der einzige rechtlich richtige Weg, um solche Auseinandersetzungen zu führen. Wenn er hierzu in der Berufungserwiderungsschrift darlegt, er habe den vor dem Arbeitsgericht geführten Rechtsstreit um die Entfernung einer Abmahnung (Az. 4 Ca 3045/05) deshalb nicht weiter verfolgt, weil die Beklagte schriftlich mitgeteilt habe, dass die Er- und Abmahnungen zum 30.06.2006 aus der Personalakte entfernt würden, so ist nicht nachvollziehbar, weshalb er diese Ermahnungen und Abmahnungen trotzdem zur Begründung seiner Strafanzeige der Staatsanwaltschaft mitgeteilt hat. Entweder sind diese Vorgänge, trotz des nicht Weiterbetreibens des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, so relevant, dass der Kläger meint, er müsse sie gegenüber der Staatsanwaltschaft offenbaren – dann hätte er aber das arbeitsgerichtliche Verfahren weiterführen müssen – oder sie sind wegen der schriftlichen Mitteilung der Beklagten, dass eine Entfernung erfolgt, nicht mehr relevant und hätten in diesem Fall auch in einer Strafanzeige nichts mehr zu suchen gehabt. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes war die Erstattung der Strafanzeige für den Kläger mithin auch keine zuletzt und allein verbliebene Möglichkeit, die Konflikte zu lösen. Alle von ihm zur Begründung der Strafanzeige geschilderten Vorgänge enthalten im Wesentlichen arbeitsrechtliche Probleme und hätten daher einer arbeitsgerichtlichen Prüfung zugeführt werden müssen. Da dies nicht zuvor geschehen ist, war die Erstattung der Strafanzeige ein unverhältnismäßiges Mittel.

Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles war der Beklagten eine Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses und sei es auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist nicht zuzumuten. Der Kläger war zwar bei der Beklagten nahezu sechs Jahre beschäftigt und wies zum Kündigungszeitpunkt ein Alter von 49 Jahren auf. Dieses Lebensalter und die Tatsache, dass er bisher ausschließlich im öffentlichen Dienst tätig war, erschwert die Arbeitsplatzsuche. Die Auffassung des Arbeitsgerichtes, dass hiermit die „Vernichtung der sozialen Existenz“ verbunden ist, teilt die Berufungskammer allerdings nicht. Eine solche Vernichtung ist angesichts der sozialstaatlichen Absicherungen von arbeitslosen Bürgern im Regelfall ausgeschlossen. Zugunsten des Klägers ist allerdings auch noch zu berücksichtigen, dass er innerbetrieblich zumindest versucht hat, die arbeitsrechtlichen Meinungsverschiedenheiten anzusprechen und zu klären.

Hingegen spricht für sein Fortsetzungsinteresse nicht, dass es die Beklagte etwa unterlassen hätte, ihm einen anderen Arbeitsplatz im Landesdienst abzubieten. Dem pflichtwidrigen Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der Erstattung der Strafanzeige fehlt es in einem so hohen Maße an Rationalität, dass aus Sicht der Beklagten die Versetzung auf einen anderen freien Arbeitsplatz das entstandene Problem nicht gelöst, sondern lediglich in einen anderen Arbeitsbereich verschoben hätte. Auch der Umstand, dass der Kläger nicht nur mit einem einzelnen Vorgesetzten, sondern gleich mit fünf Vorgesetzten nicht auskam, zeigt, dass er generell Probleme hat, sich in verwaltungshierarchischen Verhältnissen zu Recht zu finden.

Auf der anderen Seite hatte die Strafanzeige des Klägers für die betroffenen fünf Vorgesetzten eine ehrverletzende und herabsetzende Wirkung, ohne dass dies gerechtfertigt gewesen wäre. Der Kläger hat auch in erheblicher Weise hierdurch den Betriebsfrieden gestört; dies war umso weniger notwendig, als drei der angezeigten Vorgesetzten bereits seit nahezu drei (Herr V.) bzw. über ein Jahr (Herr U. und Herr T.) keine Vorgesetztenfunktion mehr gegenüber dem Kläger innehaben. Insofern war überhaupt kein aktueller Zusammenhang zwischen dem Verhalten dieser Personen und der erstatteten Strafanzeige für das Berufungsgericht erkennbar.

Die Beklagte war auch nicht gehalten, vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung den Kläger abzumahnen. Es handelte sich nämlich bei der erstatteten Strafanzeige um eine schwerwiegende Pflichtverletzung des Klägers, bei der er von vornherein nicht mit einer Billigung durch die Beklagte rechnen konnte.

Angesichts aller Einzelfallumstände war der Beklagten daher die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses für die Dauer der dreimonatigen Kündigungsfrist (vgl. § 53 Abs. 2 BAT) nicht mehr zumutbar.
Nach § 54 Abs. 2 BAT kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Diese Kündigungserklärungsfrist hat die Beklagte eingehalten, zumal der stellvertretende Leiter der A. am 03.08.2006 durch eine Mitteilung von Oberstaatsanwalt O. von der Strafanzeige erstmals Kenntnis erlangte und die außerordentliche Kündigung vom 11.08.2006 dem Kläger am 16.08.2006, mithin innerhalb der zweiwöchigen Frist, zugegangen ist.

LAG: Rheinland-Pfalz Entscheidung vom 24.10.2007 , Aktenzeichen: 7 Sa 451/07
Vorinstanz: Arbeitsgericht Mainz vom 28.03.2007, Az. 4 Ca 1791/06

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