LAG Schleswig-Holstein: Weihnachtsgeld ist als Gratifikation mit Mischcharakter Masseverbindlichkeit


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Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat entschieden – 6 Sa 411/07, dass es sich bei Weihnachtsgeld nicht um eine allein arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung, sondern vielmehr um eine Gratifikation mit Mischcharakter und somit um eine Masseverbindlichkeit handelt. Der Beklagte Insolvenzverwalter des früheren Arbeitgegers der Klägerin hatte das Tarifvertraglich vereinbarte Weihnachtsgeld nicht vollständig ausbezahlt.

Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch über die Zahlung restlichen Weihnachtsgeldes. Die Klägerin war bei der Firma DRK Pflegedienste Kreis P… gGmbH in der Zeit vom 15.11.1979 bis zum 31.12.2006 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Die DRK Pflegedienste Kreis P… gGmbH kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin am 29.05.2006 „aus dringenden betrieblichen Erfordernissen“ zum 31.12.2006. In dem vor dem Arbeitsgericht Kiel geführten Kündigungsrechtsstreit (4 Ca 1122 c/06) einigten sich die Parteien auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ende des Jahres 2006 gegen Zahlung einer Abfindung. Im August 2006 wurde über das Vermögen der DRK Pflegedienste Kreis P… gGmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte zahlte der Klägerin im November 2006 Weihnachtsgeld in Höhe von 162,08 EUR brutto. Die Klägerin hat gemeint, sie habe einen Zahlungsanspruch als Masseforderung auf den Gesamtbetrag der Zuwendung in Höhe von 972,15 EUR brutto. (…)

Entscheidungsgründe
(…) Die Klägerin hat gegen den Beklagten Anspruch auf Zahlung der vollen tariflichen Zuwendung für das Jahr 2006.

1. Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für die von ihr begehrte Zuwendung nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom 12.10.1973 in der Fassung des Änderungsvertrags vom 31.01.2003 (Zuwendungstarifvertrag). (…)

2. Zu Recht hat das Arbeitsgericht entschieden, dass es sich bei dem Zuwendungsanspruch nicht um eine einfache Insolvenzforderung handelt, die zur Insolvenztabelle anzumelden wäre, sondern um eine Masseforderung im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO.

a) Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO sind Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. (…) Entscheidend ist, ob die geltend gemachten Ansprüche vor oder nach der Verfahrenseröffnung entstanden sind, wobei nicht auf die Fälligkeit, sondern auf den Zeitpunkt der Entstehung der Forderung abzustellen ist. Ist im Arbeitsverhältnis ein regelmäßiges Arbeitsentgelt vereinbart, entstehen diese Entgeltansprüche mit den Zeitabschnitten, nach denen die Vergütung zu bemessen ist, § 614 Satz 2 BGB. Fallen diese Zeitabschnitte in die Zeiten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, entstehen die Ansprüche auf die laufende Vergütung erst zu dieser Zeit und sind erst dann zu erfüllen.

b) Im Hinblick auf Sonderzahlungen, die erst nach Insolvenzeröffnung fällig werden, aber für einen Bezugszeitraum geleistet werden, der zumindest teilweise auch vor der Insolvenzeröffnung liegt, ist anhand der konkreten Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen festzustellen, ob der Anspruch auf die Sonderzahlung erst am nach Insolvenzeröffnung liegenden Fälligkeitstag entsteht, oder ob die Ansprüche auf Sonderzahlung über den jeweiligen Bezugszeitraum hinweg verdient werden. Entscheidend ist also, ob die Sonderzahlung Arbeitsentgelt im engeren Sinne darstellt, weil sie unmittelbar die Arbeitsleistung im Bezugszeitraum abgilt und damit als Vergütungsbestandteil im jeweiligen Bezugszeitraum verdient und erst später zum vereinbarten Fälligkeitstag ausbezahlt wird. (…)

c) Sonderzahlungen sind in vielfältiger Ausgestaltung mit unterschiedlichen Zielrichtungen denkbar. Mit ihnen kann ausschließlich der Zweck verfolgt werden, die Betriebstreue des Arbeitnehmers zu belohnen, andererseits kann der Zweck auch ausschließlich darin liegen, eine zusätzliche Vergütung für die geleistete Arbeit zu gewähren. Liegen beide Zweckelemente vor, wird die Sonderzahlung als Gratifikation mit Mischcharakter bezeichnet.

d) Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um eine allein arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung, sondern vielmehr um eine Gratifikation mit Mischcharakter. Es entspricht der einhelligen Auffassung in der Rechtsprechung, dass die Zuwendung nach dem Zuwendungstarifvertrag nicht nur Entgelt für die im Bezugsjahr erbrachte Arbeitsleistung und damit vergangenheitsbezogen ist. Sie soll vielmehr zugleich ein Anreiz sein, über den 31. März des folgenden Jahres hinaus in den Diensten des Arbeitgebers zu bleiben; insoweit ist sie auch zukunftsbezogen. Auch darauf hat das Arbeitsgericht bereits zu Recht hingewiesen. Wegen dieses Charakters der Zuwendung handelt es sich somit um eine Masseforderung. (…)

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