LSG Berlin: Zur Zumutbarkeit eines Umzuges (PKH)


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Das Landessozialgericht Berlin – L 28 B 1061/07 AS PKH vom 23.07.2007 – hat im Rahmen eines Prozesskostenhilfeverfahrens bezüglich der Kosten der Unterkunft (KdU) über die Zumutbarkeit eines Umzugs entschieden.

Entscheidung: (bearbeiteter Auszug)
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. September 2006 wird aufgehoben. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt H G-B, Mastr., B, beigeordnet. Beträge aus dem Vermögen oder Raten sind nicht zu zahlen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach § 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. September 2006, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist begründet. Der Klägerin ist für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115, 119 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zu gewähren.
(…)

Kommt (…) eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden ausgehen würde, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern. Dies muss dazu führen, dass die Erfolgsaussicht eines Rechtsschutzbegehrens dann nicht verneint werden darf, wenn entweder Aufklärungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht besteht oder aber schwierige rechtliche Fragen zu klären sind, deren Klärung der Durchführung eines Verfahrens der Hauptsache vorbehalten sein muss. Diese Voraussetzungen erfüllt das Rechtsschutzbegehren der Klägerin, mit dem sie sich im Kern gegen die Aufforderung zur Absenkung der Kosten der Unterkunft wendet und die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft auch über den 30. September 2006 hinaus begehrt. Denn nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II sind, soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den nach der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel längstens für sechs Monate. Dabei ist die Zumutbarkeit umgehender Kostensenkungsbemühungen in aller Regel anzunehmen. Allein die typischerweise mit einem Umzug verbundenen Belastungen machen einem Umzug nicht unzumutbar; es muss sich um eine vom Durchschnitt abweichende besondere Belastungssituation handeln, wie Gebrechlichkeit bei hohem Alter, eine aktuelle schwere Krankheit oder eine Behinderung. Bei substantiierter Berufung auf gesundheitsbedingte Umzugshindernisse ist gegebenenfalls eine gutachterliche Klärung geboten (vgl. Berlit in LPK-SGB-II, 2. Auflage 2007, § 22 Rdnr. 59 m. w. Nachw.).

Ein solcher Sachverhalt liegt hier vor. Der minderjährige und durch seine Mutter vertretene Kläger hat unter Vorlage u. a. zweier Schreiben der Leitenden Kinderärztin Dr. S. S des Z für K e. V. vom 16. Mai 2005 und vom 16. Oktober 2006 vorgetragen, dass er unter einer multimodalen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung, einer Koordinationsstörung der Grobmotorik und einer Interaktionstörung leidet. Die Ärztin gibt an, dass bei einem Wohnungs- und Umfeldwechsel negative Folgen für die Entwicklung des Klägers zu befürchten seien. Der Erfolg der laufenden Therapie hänge wesentlich vom Erhalt des „Schutzraumes“ Wohnung ab. Der Kläger benötige für seine Entwicklung unbedingt die Stabilität des Wohnumfeldes. Ergänzend hat das Jugendamt des Bezirkes Friedrichshain-Kreuzberg in einem Schreiben vom 27. September 2006 mitgeteilt, dass ein Wohnungswechsel und eine Wohnraumveränderung die jetzige seelische Situation des Klägers destabilisieren und weitere Jugendhilfemaßnahmen erforderlich machen würde, die bei einem Beibehalten der jetzigen Wohnung nicht notwendig wären. Inwieweit dieser Vortrag zutrifft und falls ja, ob dieser Sachverhalt einem Umzug in der derzeitigen Situation entgegensteht, muss in dem Hauptsacheverfahren ermittelt und gegebenenfalls durch Einholung eines Gutachtens geklärt werden. (…)

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